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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1/2): Kommentar zu Nietzsches Unzeitgemässen Betrachtungen: I. David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller, II. Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben — Berlin, Boston: De Gruyter, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.69926#0537
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Stellenkommentar UB II HL 7, KSA 1, S. 296 511

eigener Freigeist-Anspruch erhellt bereits in UB III SE aus seiner Zielsetzung,
„die freien Geister und die tief an unsrer Zeit Leidenden mit Schopenhauer
bekannt zu machen“ (KSA 1, 407, 7-8). Insofern prolongieren sich im Konzept
des ,freien Geistes4 in N.s mittlerer Schaffensphase auch die kulturkritischen
Strategien unzeitgemäßer4 Betrachtungen. Bereits am 22. September 1876, also
kurz nach der Publikation von UB IV WB, die als die letzte der Unzeitgemässen
Betrachtungen Anfang Juli 1876 erschienen war, charakterisiert sich N. selbst in
einem Brief an Louise Ott emphatisch als „einen Freigeist“, der in der „täglich
grösseren Befreiung des Geistes sein Glück sucht und findet. Vielleicht dass
ich sogar noch mehr Freigeist sein will als ich es sein kann!“ (KSB 5, Nr. 552,
S. 185-186). Im Untertitel seines nächsten Buches Menschliches, Allzumenschli-
ches. Ein Buch für freie Geister (KSA 2, 9) gewinnt dieses Selbstverständnis
dann paradigmatische Bedeutung. Da der Anspruch des ,Freigeistes4 darauf
zielt, einschränkende traditionelle Normen und Werte zu überwinden, reprä-
sentiert er zugleich die für N. seit der mittleren Schaffensperiode charakteristi-
sche Tendenz zu einer umfassenden Aufklärung, zu der wesentlich die kriti-
sche Auseinandersetzung mit religiösen Dogmen und kirchlicher Orthodoxie
gehören. Zur Freigeist-Thematik bei N. vgl. auch Campioni 1976, 83-112 und
Gerhardt 2011. - Später allerdings zeigt N. Distanz zu einem bestimmten Frei-
geist-Typus, wenn er sich in Ecce homo unter dem Titel „Die Unzeitgemässen“
(KSA 6, 316-321) nicht nur von David Friedrich Strauß abgrenzt: Im Rückblick
auf UB I DS betont er zunächst seine Gegnerschaft zu Strauß als dem „ersten
deutschen Freigeist“ und erklärt dann: „bis heute ist mir Nichts fremder und
unverwandter als die ganze europäische und amerikanische Species von ,libres
penseurs4.“ (KSA 6, 319, 6-10.) Mit dem Idealismus dieser „libres penseurs“
kontrastiert N. sein eigenes Selbstverständnis: „Ich bin der erste Immora-
list“ (KSA 6, 319, 17).
296, 34 - 297, 5 Vermuthe Niemand dahinter neue kräftige Bau-Instincte; man
müsste denn den sogenannten Protestanten-Verein als Mutterschooss einer neuen
Religion und etwa den Juristen Holtzendorf (den Herausgeber und Vorredner der
noch viel sogenannteren Protestanten-Bibel) als Johannes am Flusse Jordan gel-
ten lassen] Der Deutsche Protestantenverein wurde 1865 von Vertretern aller
deutschen Landeskirchen in Frankfurt am Main mit dem Ziel gegründet, die
Kirche zeitgemäß zu liberalisieren und dadurch einer weiteren Entfremdung
zwischen den Gläubigen und der Kirche entgegenzuwirken. - Franz von Holt-
zendorff (1829-89), seit 1860 Professor in München und Berlin, reformierte das
Strafvollzugswesen und engagierte sich aus liberalem Geist in der Kirche. Er
fungierte als Mitherausgeber der „Protestanten-Bibel“, einer neuen Bibelüber-
setzung mit erläuternden Anmerkungen. N. schreibt den Namen fälschlich mit
nur einem ,f4. - Nach den Berichten der Evangelien wirkte Johannes der Täufer
 
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