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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1/2): Kommentar zu Nietzsches Unzeitgemässen Betrachtungen: I. David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller, II. Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben — Berlin, Boston: De Gruyter, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.69926#0549
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Stellenkommentar UB II HL 8, KSA 1, S. 301-303 523

rhetorischen Fragen eine Reihe von Einwänden: „Denn wie wäre es einem der
ersten Mathematiker möglich, sich einer solchen Unmethode zu bedienen, daß
er schon in den Optischen Lektionen, indem er die diverse Refrangibilität fest-
setzen will, den Versuch mit parallelen Mitteln, der ganz an den Anfang gehört,
weil die Farbenerscheinung sich da zuerst entwickelt, ganz zuletzt bringt; [...]
Die Natur spricht nichts aus, was ihr selbst unbequem wäre; desto schlimmer
wenn sie einem Theoretiker unbequem wird“ (ebd., 848-849). - N. übergeht
im vorliegenden Kontext die Problematik dieser Charakterisierung Newtons
durch Goethe, der in der Fachwelt seine eigene, physikalisch allerdings ver-
fehlte Farbenlehre durchzusetzen versuchte. Mit ihr hatte sich Goethe bewusst
(und letztlich vergeblich) in Opposition zu der allgemein anerkannten Farben-
theorie Newtons begeben.
303,16-18 uns den Spätgekommenen, den abgeblassten letzten Sprossen mäch-
tiger und frohmüthiger Geschlechter] Das unter den Zeitgenossen weit verbreite-
te und auch in der Literatur der Epoche oft reflektierte Bewusstsein, einem
Geschlecht von Epigonen anzugehören, zählt zu den Grundmotiven in N.s
Frühwerk. Nur wenige Seiten später kritisiert N. in der Historienschrift „das
Gefühl des gar zu Ueberspäten und Epigonenhaften“ (305,11-12). Er selbst pro-
pagiert demgegenüber wiederholt und nachdrücklich die Hoffnung auf eine
neue, von ,Leben4 erfüllte ,Zukunft4. - Zur Thematik der Epigonalität vgl. auch
die ausführlichen Stellenkommentare zu UB II HL (295, 4-7; 306, 13-19),
UB I DS (KSA 1, 169, 15-18) und UB III SE (KSA 1, 344, 31-34; 350, 20-21).
303,18-20 uns, auf die Hesiod’s Prophezeiung zu deuten ist, dass die Menschen
einst sogleich graubehaart geboren würden, und dass Zeus dies Geschlecht vertil-
gen werde] Von dem frühgriechischen Dichter Hesiod (um 700 v. Chr.) sind zwei
Werke erhalten geblieben: die Theogonie und die Werke und Tage, auf deren
Vers 181 N. hier anspielt. Unter Rückgriff auf diese Prophezeiung Hesiods argu-
mentiert N. wenig später kulturkritisch, wenn er die Epochenproblematik mit
einer zukunftsfeindlichen Mentalität in Verbindung bringt: So kritisiert er Defä-
tismus und Passivität der Zeitgenossen, die auf dem Primat „der historischen
Bildung“ beharren, „alles Werdende“ ablehnen und durch „das Gefühl des gar
zu Ueberspäten und Epigonenhaften, kurz der angeborenen Grauhaarigkeit“
jeden Aufbruchsimpuls bremsen (305, 9-13).
303, 28 - 304, 8 Das Menschengeschlecht [...] will nicht nach Jahrtausenden,
ja kaum nach Hunderttausenden von Jahren in seinen Schritten - vorwärts und
rückwärts - betrachtet werden, das heisst, es will als Ganzes von dem unendlich
kleinen Atompünktchen, dem einzelnen Menschen, gar nicht betrachtet wer-
den. Was wollen denn ein Paar Jahrtausende besagen [...], um im Anfang einer
solchen Zeit noch von ,Jugend‘, am Schlüsse bereits von ,Alter der Menschheit
 
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