Überblickskommentar 21
„grauenhafte[n] Widersinn[s]" (Klages 1926, 195), denn N. ringe zur gleichen
Zeit um Wahrheit, wie er vor ihr fliehe (vgl. Kr III, 156-157).
Ein Verweis auf WL, wo „dem Rationalismus und Intellektualismus die
Führerrolle für die Beurteilung sämtlicher Lebenserscheinungen abgespro-
chen" (zit. nach Kr III, 150) werde, findet sich ferner in der Gedächtnisrede
auf Friedrich Nietzsche (Basler Nachrichten Sonntagsblatt, Nr. 43-46, 1924) des
Basler Religionshistorikers und Klages-Schülers Carl Albrecht Bernoulli.
An pointierter Stelle verweist schließlich auch Martin Heidegger in seiner
Einführung in die Metaphysik (1935) auf die WL einleitende Fabel: Die radikal
gestellte ontologische Grundfrage nach dem Ursprung des Seienden ebnet jede
„Hervorhebung" (Heidegger 1987, 3) von bestimmtem Seienden ein, die Erde
samt ihrer Bewohner schrumpft so zu einem „winzigen Sandkorn" (Heidegger
1987, 3). Die Frage nach dem Sein erweist sich aber als zuinnerst mit der Frage
nach der Sprache verschlungen - ein weiterer Ausdruck der die Moderne im
20. Jahrhundert prägenden sprachontologischen Struktur.
Mit dem Poststrukturalismus und dem linguistic turn in der 2. Hälfte des
20. Jahrhunderts steht die Rezeption v. a. von N.s Frühwerk und von WL im
Zeichen eines - zunächst vor allem in Frankreich aufkommenden - verstärkten
Interesses an Sprachphilosophie, das sich anfangs auf die philosophischen Im-
plikationen von N.s Begriff der Rhetorik (besonders der Metapher) konzentriert
(z. B. Derrida 1972; Kofman 1972) und Nietzsche als Philosophen der Differenz
zu deuten versucht (vgl. Reckermann 2003, 39-59). Vorausgegangen waren
erstmalige Übertragungen von WL (in Le livre du philosophe, 1969) und N.s
Vorlesungen zur Rhetorik ins Französische (durch Lacoue-Labarthe und Nancy,
1971; vgl. auch Nancy zur „Redlichkeit", in: Hamacher 2003). Später kommen
eher erkenntnistheoretisch akzentuierte Fragen und N.s Begriff der Wahrheit
in den Blick, mit denen sich vor allem die angelsächsische Forschung ausei-
nandersetzt; in der dekonstruktivistisch-literaturtheoretischen Lesart Paul de
Mans (v. a. in Allegories of Reading, 1979) etwa ist WL der Ort der Koexistenz
und der beständigen Inversionen von unauflöslichen Oppositionspaaren, die
auch N.s Spätwerk durchziehen (vgl. Reckermann 2003, 169-173).
Von Nietzsches Rhetorik-Vorlesungen und WL ausgehend untersucht Paul
Ricoeur in Soi-meme comme un autre (Paris 1990) das von ihm so bezeichnete
„paradoxe du menteur" (Ricoeur 1990, 23), das in der Unmöglichkeit bestehe,
den Grund jener figurativen Sprache aufzuspüren, deren weltbildende Funkti-
on referentielle Diskurse erlaube. Darin erkennt Ricoeur die Radikalisierung
des Zweifels des Cartesianischen Cogito. Schon in La metaphore vive (Paris
1975) rekurrierte Ricoeur auf La Mythologie blanche. La metaphore dans le texte
philosophique (in Marges de la philosophie, 1972) von Jacques Derrida, welcher
der metalinguistischen historischen Dimension der Metapher (vor allem im
„grauenhafte[n] Widersinn[s]" (Klages 1926, 195), denn N. ringe zur gleichen
Zeit um Wahrheit, wie er vor ihr fliehe (vgl. Kr III, 156-157).
Ein Verweis auf WL, wo „dem Rationalismus und Intellektualismus die
Führerrolle für die Beurteilung sämtlicher Lebenserscheinungen abgespro-
chen" (zit. nach Kr III, 150) werde, findet sich ferner in der Gedächtnisrede
auf Friedrich Nietzsche (Basler Nachrichten Sonntagsblatt, Nr. 43-46, 1924) des
Basler Religionshistorikers und Klages-Schülers Carl Albrecht Bernoulli.
An pointierter Stelle verweist schließlich auch Martin Heidegger in seiner
Einführung in die Metaphysik (1935) auf die WL einleitende Fabel: Die radikal
gestellte ontologische Grundfrage nach dem Ursprung des Seienden ebnet jede
„Hervorhebung" (Heidegger 1987, 3) von bestimmtem Seienden ein, die Erde
samt ihrer Bewohner schrumpft so zu einem „winzigen Sandkorn" (Heidegger
1987, 3). Die Frage nach dem Sein erweist sich aber als zuinnerst mit der Frage
nach der Sprache verschlungen - ein weiterer Ausdruck der die Moderne im
20. Jahrhundert prägenden sprachontologischen Struktur.
Mit dem Poststrukturalismus und dem linguistic turn in der 2. Hälfte des
20. Jahrhunderts steht die Rezeption v. a. von N.s Frühwerk und von WL im
Zeichen eines - zunächst vor allem in Frankreich aufkommenden - verstärkten
Interesses an Sprachphilosophie, das sich anfangs auf die philosophischen Im-
plikationen von N.s Begriff der Rhetorik (besonders der Metapher) konzentriert
(z. B. Derrida 1972; Kofman 1972) und Nietzsche als Philosophen der Differenz
zu deuten versucht (vgl. Reckermann 2003, 39-59). Vorausgegangen waren
erstmalige Übertragungen von WL (in Le livre du philosophe, 1969) und N.s
Vorlesungen zur Rhetorik ins Französische (durch Lacoue-Labarthe und Nancy,
1971; vgl. auch Nancy zur „Redlichkeit", in: Hamacher 2003). Später kommen
eher erkenntnistheoretisch akzentuierte Fragen und N.s Begriff der Wahrheit
in den Blick, mit denen sich vor allem die angelsächsische Forschung ausei-
nandersetzt; in der dekonstruktivistisch-literaturtheoretischen Lesart Paul de
Mans (v. a. in Allegories of Reading, 1979) etwa ist WL der Ort der Koexistenz
und der beständigen Inversionen von unauflöslichen Oppositionspaaren, die
auch N.s Spätwerk durchziehen (vgl. Reckermann 2003, 169-173).
Von Nietzsches Rhetorik-Vorlesungen und WL ausgehend untersucht Paul
Ricoeur in Soi-meme comme un autre (Paris 1990) das von ihm so bezeichnete
„paradoxe du menteur" (Ricoeur 1990, 23), das in der Unmöglichkeit bestehe,
den Grund jener figurativen Sprache aufzuspüren, deren weltbildende Funkti-
on referentielle Diskurse erlaube. Darin erkennt Ricoeur die Radikalisierung
des Zweifels des Cartesianischen Cogito. Schon in La metaphore vive (Paris
1975) rekurrierte Ricoeur auf La Mythologie blanche. La metaphore dans le texte
philosophique (in Marges de la philosophie, 1972) von Jacques Derrida, welcher
der metalinguistischen historischen Dimension der Metapher (vor allem im