40 Ueber Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne
späterhin auch in den Reflexionen der Sprachphilosophie und Erkenntnistheo-
rie beispielsweise von Herder, Hamann und W. v. Humboldt in einem WL na-
hen Problemhorizont diskutiert. Bis einschließlich Herder (Abhandlung über
den Ursprung der Sprache, 1772) wird diese Frage mit der Deutung der Sprache
als physei beantwortet. Insofern die Sprache vor-konventionalistischen Ur-
sprungs ist, bedeutet sie nach Herder ein adäquates Medium zum intersubjek-
tiven Ausdruck sinnlicher Wahrnehmung (zu N., Herder und der Frage nach
einem natürlichen Ursprung der Sprache vgl. Bertino 2011, 112-130).
N. selbst formuliert die Frage nach der Adäquation von Bezeichnungen
und Dingen rhetorisch und leitet auf diese Weise die in den folgenden Passa-
gen entwickelte These ein, alle Sprache sei Rhetorik und könne den eigenen
anthropomorphen Ursprung nie einholen. Bei Gerber konnte N. lesen: „Nichts
ist falscher, als anzunehmen, dass wir durch die Sprache die Dinge in der Welt
bezeichnen. Wir haben an der Sprache freilich ein Mittel, um uns mit allen
Dingen theoretisch in Verbindung zu setzen, aber ein durchaus künstliches,
künstlich in dem doppelten Sinne, dass die Sprache wesentlich nur Menschen-
werk ist, Naturgültigkeit nicht besitzt, nur unsere Beziehung zu den Dingen
ausdrückt" (SK, 248).
878, 19-20 Wahrheit in der Form der Tautologie] Insofern für N. Denken und
Sprechen nur in gemeinschaftlich vereinbarten Sprachzeichen funktionieren,
kann der Mensch zu keinen Erkenntnissen gelangen, die nicht in der Struktur
der Sprache schon angelegt wären. Jedes Erkennen ist mithin voreingenom-
men, ist tautologisch (vgl. eine Notiz aus dem Nachlass: „Die Wahrheit ist dem
Menschen gleichgültig: dies zeigt die Tautologie, als die einzig zugängliche
Form der Wahrheit", NL 1872/73, KSA 7, 19[258], 500, 8-9). Aus dieser Stelle
in WL lässt sich überdies eine subtile Ironie herauslesen, die sich gegen den
aristotelischen Begriff von tautötes richtet: Was bei Aristoteles die Einheit des
Seins meint (vgl. Metaphysik, A9, 1018a7), wird bei N. zur bloßen „Illusion[en]"
(878, 21), zur „leeren Hülse[n]" (878, 20).
878, 21-25 Was ist ein Wort? Die Abbildung eines Nervenreizes in Lauten. Von
dem Nervenreiz aber weiterzuschliessen auf eine Ursache äusser uns, ist bereits
das Resultat einer falschen und unberechtigten Anwendung des Satzes vom Grun-
de.] Die Form der Frage „Was ist ein Wort?" (878, 21) wird sich später in der
Frage nach der Wahrheit wiederholen (vgl. 880, 30). N. ironisiert hier das phi-
losophische dialektische Modell, das die quidditas eines Gegenstandes hinter-
fragt, indem er den wesentlich metaphorischen Charakter von Fragemodell
und Fragegegenstand unterstreicht. Denn was N. später, in verknappter Anleh-
nung an Gerbers tropologisches Modell von der Sprachgenese, als metaphori-
schen Übergang vom Nervenreiz bis zum Laut skizzieren wird (vgl. NK 879, 10-
späterhin auch in den Reflexionen der Sprachphilosophie und Erkenntnistheo-
rie beispielsweise von Herder, Hamann und W. v. Humboldt in einem WL na-
hen Problemhorizont diskutiert. Bis einschließlich Herder (Abhandlung über
den Ursprung der Sprache, 1772) wird diese Frage mit der Deutung der Sprache
als physei beantwortet. Insofern die Sprache vor-konventionalistischen Ur-
sprungs ist, bedeutet sie nach Herder ein adäquates Medium zum intersubjek-
tiven Ausdruck sinnlicher Wahrnehmung (zu N., Herder und der Frage nach
einem natürlichen Ursprung der Sprache vgl. Bertino 2011, 112-130).
N. selbst formuliert die Frage nach der Adäquation von Bezeichnungen
und Dingen rhetorisch und leitet auf diese Weise die in den folgenden Passa-
gen entwickelte These ein, alle Sprache sei Rhetorik und könne den eigenen
anthropomorphen Ursprung nie einholen. Bei Gerber konnte N. lesen: „Nichts
ist falscher, als anzunehmen, dass wir durch die Sprache die Dinge in der Welt
bezeichnen. Wir haben an der Sprache freilich ein Mittel, um uns mit allen
Dingen theoretisch in Verbindung zu setzen, aber ein durchaus künstliches,
künstlich in dem doppelten Sinne, dass die Sprache wesentlich nur Menschen-
werk ist, Naturgültigkeit nicht besitzt, nur unsere Beziehung zu den Dingen
ausdrückt" (SK, 248).
878, 19-20 Wahrheit in der Form der Tautologie] Insofern für N. Denken und
Sprechen nur in gemeinschaftlich vereinbarten Sprachzeichen funktionieren,
kann der Mensch zu keinen Erkenntnissen gelangen, die nicht in der Struktur
der Sprache schon angelegt wären. Jedes Erkennen ist mithin voreingenom-
men, ist tautologisch (vgl. eine Notiz aus dem Nachlass: „Die Wahrheit ist dem
Menschen gleichgültig: dies zeigt die Tautologie, als die einzig zugängliche
Form der Wahrheit", NL 1872/73, KSA 7, 19[258], 500, 8-9). Aus dieser Stelle
in WL lässt sich überdies eine subtile Ironie herauslesen, die sich gegen den
aristotelischen Begriff von tautötes richtet: Was bei Aristoteles die Einheit des
Seins meint (vgl. Metaphysik, A9, 1018a7), wird bei N. zur bloßen „Illusion[en]"
(878, 21), zur „leeren Hülse[n]" (878, 20).
878, 21-25 Was ist ein Wort? Die Abbildung eines Nervenreizes in Lauten. Von
dem Nervenreiz aber weiterzuschliessen auf eine Ursache äusser uns, ist bereits
das Resultat einer falschen und unberechtigten Anwendung des Satzes vom Grun-
de.] Die Form der Frage „Was ist ein Wort?" (878, 21) wird sich später in der
Frage nach der Wahrheit wiederholen (vgl. 880, 30). N. ironisiert hier das phi-
losophische dialektische Modell, das die quidditas eines Gegenstandes hinter-
fragt, indem er den wesentlich metaphorischen Charakter von Fragemodell
und Fragegegenstand unterstreicht. Denn was N. später, in verknappter Anleh-
nung an Gerbers tropologisches Modell von der Sprachgenese, als metaphori-
schen Übergang vom Nervenreiz bis zum Laut skizzieren wird (vgl. NK 879, 10-