42 Ueber Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne
878, 30-32 Wir theilen die Dinge nach Geschlechtern ein, wir bezeichnen den
Baum als männlich, die Pflanze als weiblich: welche willkürlichen Übertragun-
gen!] Gerber dient N. erneut als Vorlage: „Die Metapher zeigt sich ferner wirk-
sam in der Bezeichnung des Geschlechts. Zwar verlangt die natürliche
Geschlechtsverschiedenheit (sexus), wie die von Mann, Frau; Stier, Kuh;
Hengst, Stute auch unterschiedene Bezeichnung durch Wörter, das gram-
matische Geschlecht aber (genus) hat sich lediglich durch die Metapher aus-
gebildet und erscheint an sich als ein Luxus der Sprache" (SK, 379). Zuvor
hatte das Beispiel schon in den § 3 von N.s Rhetorik-Vorlesung Eingang gefun-
den: „Die Metapher zeigt sich in der Bezeichnung des Geschlechtes, das genus
im grammatischen Sinn ist ein Luxus der Sprache u. reine Metapher" (KGW 11/
4, 427).
878, 33-879, 1 Wir reden von einer Schlange: die Bezeichnung trifft nichts als
das Sichwinden, könnte also auch dem Wurme zukommen.] Bei Gerber heißt es:
„Wenn nun z. B. die Lateiner das Wort serpens, kriechend, als Bezeichnung
der Schlange brauchten, so kann gefragt werden, warum es ihnen nicht etwa
,Schnecke' bedeutete, denn auch diese ist ja serpens, [...] beide: serpens und
Schnecke bezeichnen also durch eine nur einseitige Wahrnehmung die ganze
und volle Anschauung" (SK, 365-366). N. übernahm das Beispiel zuvor schon
in § 3 seiner Rhetorik-Vorlesung: „serpens die kriechende, aber warum heißt
serpens nicht auch Schnecke? Eine einseitige Wahrnehmung tritt ein für die
ganze u. volle Anschauung" (KGW 11/4, 426), was der Wirkweise der Synekdo-
che entspricht.
879, 1-2 Welche willkürlichen Abgrenzungen, welche einseitigen Bevorzugun-
gen bald der bald jener Eigenschaft eines Dinges!] N. zieht das Fazit aus einer
Reihe von Beispielen, welche die genuin rhetorische Operationsweise der Spra-
che verdeutlichen, und verneint damit die zuvor gestellte Frage nach der Adä-
quation der Sprache (vgl. NK 878, 14-16). Das vom Nervenreiz erzeugte Bild
operiert nach N. wie die Synekdoche, d. h. es nimmt eine Eigenschaft des
Wahrgenommenen als Ganzes. Mittels einer der Metonymie vergleichbaren
Denkoperation wird das so hypostasierte Merkmal als Ursache gesetzt. N. hält
sich auch hier an Gerber, der schreibt: „sie [die Seele] nimmt statt des Dinges
selbst nur wahr dessen Merkmal, bestimmte Eigenschaften des Dinges, wo-
durch sie es als ein besonderes von den anderen Dingen unterscheidet" (SK,
170). Auch: „Die Sprache drückt niemals etwas vollständig aus,
sondern hebt überall nur das am meisten hervorstechende,
oder ihr so erscheinende Merkmal hervor" (KGW II/4, 363). N. hatte
den Gedanken der Merkmalsselektion schon in §3 der Rhetorik-Vorlesung
übernommen: „Statt der Dinge nimmt die Empfindung nur ein Merkmal auf"
878, 30-32 Wir theilen die Dinge nach Geschlechtern ein, wir bezeichnen den
Baum als männlich, die Pflanze als weiblich: welche willkürlichen Übertragun-
gen!] Gerber dient N. erneut als Vorlage: „Die Metapher zeigt sich ferner wirk-
sam in der Bezeichnung des Geschlechts. Zwar verlangt die natürliche
Geschlechtsverschiedenheit (sexus), wie die von Mann, Frau; Stier, Kuh;
Hengst, Stute auch unterschiedene Bezeichnung durch Wörter, das gram-
matische Geschlecht aber (genus) hat sich lediglich durch die Metapher aus-
gebildet und erscheint an sich als ein Luxus der Sprache" (SK, 379). Zuvor
hatte das Beispiel schon in den § 3 von N.s Rhetorik-Vorlesung Eingang gefun-
den: „Die Metapher zeigt sich in der Bezeichnung des Geschlechtes, das genus
im grammatischen Sinn ist ein Luxus der Sprache u. reine Metapher" (KGW 11/
4, 427).
878, 33-879, 1 Wir reden von einer Schlange: die Bezeichnung trifft nichts als
das Sichwinden, könnte also auch dem Wurme zukommen.] Bei Gerber heißt es:
„Wenn nun z. B. die Lateiner das Wort serpens, kriechend, als Bezeichnung
der Schlange brauchten, so kann gefragt werden, warum es ihnen nicht etwa
,Schnecke' bedeutete, denn auch diese ist ja serpens, [...] beide: serpens und
Schnecke bezeichnen also durch eine nur einseitige Wahrnehmung die ganze
und volle Anschauung" (SK, 365-366). N. übernahm das Beispiel zuvor schon
in § 3 seiner Rhetorik-Vorlesung: „serpens die kriechende, aber warum heißt
serpens nicht auch Schnecke? Eine einseitige Wahrnehmung tritt ein für die
ganze u. volle Anschauung" (KGW 11/4, 426), was der Wirkweise der Synekdo-
che entspricht.
879, 1-2 Welche willkürlichen Abgrenzungen, welche einseitigen Bevorzugun-
gen bald der bald jener Eigenschaft eines Dinges!] N. zieht das Fazit aus einer
Reihe von Beispielen, welche die genuin rhetorische Operationsweise der Spra-
che verdeutlichen, und verneint damit die zuvor gestellte Frage nach der Adä-
quation der Sprache (vgl. NK 878, 14-16). Das vom Nervenreiz erzeugte Bild
operiert nach N. wie die Synekdoche, d. h. es nimmt eine Eigenschaft des
Wahrgenommenen als Ganzes. Mittels einer der Metonymie vergleichbaren
Denkoperation wird das so hypostasierte Merkmal als Ursache gesetzt. N. hält
sich auch hier an Gerber, der schreibt: „sie [die Seele] nimmt statt des Dinges
selbst nur wahr dessen Merkmal, bestimmte Eigenschaften des Dinges, wo-
durch sie es als ein besonderes von den anderen Dingen unterscheidet" (SK,
170). Auch: „Die Sprache drückt niemals etwas vollständig aus,
sondern hebt überall nur das am meisten hervorstechende,
oder ihr so erscheinende Merkmal hervor" (KGW II/4, 363). N. hatte
den Gedanken der Merkmalsselektion schon in §3 der Rhetorik-Vorlesung
übernommen: „Statt der Dinge nimmt die Empfindung nur ein Merkmal auf"