34 Schopenhauer als Erzieher
der Natur" (382), die - wie N. im Anschluss an Schopenhauers Philosophie
anthropomorph formuliert - in Gestalt des Philosophen oder Künstlers „zu
ihrer eignen Aufklärung über sich selbst" und in Gestalt des Heiligen zur Über-
windung jeglicher Individualität, zum Gefühl der Einheit alles Lebendigen und
zur „Erlösung von sich selbst" gelangen wolle (382). In der Entwicklung des
Menschen zu diesen Schopenhauerischen Typen erblickt N. „die höchste Erfül-
lung unsrer Existenz" (383).
6.
Im 6. Kapitel (383-404) korreliert N. Kultur und Natur: Die Entwicklung der
Kultur leitet er aus dem Naturprinzip her, nach dem das Ziel jeder Art letztlich
darin besteht, sich selbst zu transzendieren, und zwar durch das „einzelne
höhere Exemplar" (384), dem es gelingt, den Übergang in eine superiore Exis-
tenzweise zu vollziehen. Mit dem idealistischen Engagement für das vorausge-
setzte Kulturziel, einzelne große Individuen hervorzubringen, statt bloß für das
Wohl der Masse zu sorgen (384), kontrastiert N. vier Möglichkeiten eines Kul-
turmissbrauchs (387-399): erstens die Verfolgung ökonomischer Interessen
durch die Erwerbenden, die Bildung bloß als Mittel zur Gewinnmaximierung
benutzen, zweitens die „Selbstsucht des Staates" (388), der als soge-
nannter „Kulturstaat" das intellektuelle Potential seiner Mitglieder nur zum
Vorteil der Institutionen einsetzt, und drittens die von egoistischen Zwecken
bestimmte Selbstinszenierung derer, die sich mithilfe schönen Dekors vor
allem selbst „interessant zu machen" suchen (389) und die Kultur dabei zu
einem veredelnden Schmuck depotenzieren. In seinem anschließenden binati-
onalen Kulturvergleich kontrastiert N. französische Eleganz, Manierlichkeit
und Ästhetisierungskunst mit deutschem „Schwer- und Tiefsinn" (391). Die sei-
ner Meinung nach würdelose Anpassung an die Moden des Zeitgeistes und die
Tendenz der Deutschen, sich an das kulturelle Vorbild Frankreichs zu assimi-
lieren (392), sieht N. mit der Gefahr verbunden, dass durch eine „,Kultur der
interessanten Form"' (393) die eigene Kulturaufgabe verfehlt werde.
Besonders ausführlich widmet sich N. dem vierten Aspekt des von ihm
konstatierten Kulturmissbrauchs: der „Selbstsucht der Wissenschaft"
(393) und ihrer Repräsentanten. Deren Motivation sieht er keineswegs primär
im Wahrheitstrieb (394), sondern in einer Mischung sehr verschiedener Interes-
sen und Motive. Seine Gelehrtensatire (394-399) präsentiert N. als kritische
Diagnose des zeitgenössischen Wissenschaftsbetriebs. Eine spezifische Aben-
teuerlust sowie Neugier, Jagd- und Spieltrieb gehören ihm zufolge ebenso zur
mentalen Ausstattung des Wissenschaftlers wie Kampflust, Widerspruchsgeist,
aber auch lebensferner Intellektualismus, Biederkeit, Kurzsichtigkeit, Borniert-
der Natur" (382), die - wie N. im Anschluss an Schopenhauers Philosophie
anthropomorph formuliert - in Gestalt des Philosophen oder Künstlers „zu
ihrer eignen Aufklärung über sich selbst" und in Gestalt des Heiligen zur Über-
windung jeglicher Individualität, zum Gefühl der Einheit alles Lebendigen und
zur „Erlösung von sich selbst" gelangen wolle (382). In der Entwicklung des
Menschen zu diesen Schopenhauerischen Typen erblickt N. „die höchste Erfül-
lung unsrer Existenz" (383).
6.
Im 6. Kapitel (383-404) korreliert N. Kultur und Natur: Die Entwicklung der
Kultur leitet er aus dem Naturprinzip her, nach dem das Ziel jeder Art letztlich
darin besteht, sich selbst zu transzendieren, und zwar durch das „einzelne
höhere Exemplar" (384), dem es gelingt, den Übergang in eine superiore Exis-
tenzweise zu vollziehen. Mit dem idealistischen Engagement für das vorausge-
setzte Kulturziel, einzelne große Individuen hervorzubringen, statt bloß für das
Wohl der Masse zu sorgen (384), kontrastiert N. vier Möglichkeiten eines Kul-
turmissbrauchs (387-399): erstens die Verfolgung ökonomischer Interessen
durch die Erwerbenden, die Bildung bloß als Mittel zur Gewinnmaximierung
benutzen, zweitens die „Selbstsucht des Staates" (388), der als soge-
nannter „Kulturstaat" das intellektuelle Potential seiner Mitglieder nur zum
Vorteil der Institutionen einsetzt, und drittens die von egoistischen Zwecken
bestimmte Selbstinszenierung derer, die sich mithilfe schönen Dekors vor
allem selbst „interessant zu machen" suchen (389) und die Kultur dabei zu
einem veredelnden Schmuck depotenzieren. In seinem anschließenden binati-
onalen Kulturvergleich kontrastiert N. französische Eleganz, Manierlichkeit
und Ästhetisierungskunst mit deutschem „Schwer- und Tiefsinn" (391). Die sei-
ner Meinung nach würdelose Anpassung an die Moden des Zeitgeistes und die
Tendenz der Deutschen, sich an das kulturelle Vorbild Frankreichs zu assimi-
lieren (392), sieht N. mit der Gefahr verbunden, dass durch eine „,Kultur der
interessanten Form"' (393) die eigene Kulturaufgabe verfehlt werde.
Besonders ausführlich widmet sich N. dem vierten Aspekt des von ihm
konstatierten Kulturmissbrauchs: der „Selbstsucht der Wissenschaft"
(393) und ihrer Repräsentanten. Deren Motivation sieht er keineswegs primär
im Wahrheitstrieb (394), sondern in einer Mischung sehr verschiedener Interes-
sen und Motive. Seine Gelehrtensatire (394-399) präsentiert N. als kritische
Diagnose des zeitgenössischen Wissenschaftsbetriebs. Eine spezifische Aben-
teuerlust sowie Neugier, Jagd- und Spieltrieb gehören ihm zufolge ebenso zur
mentalen Ausstattung des Wissenschaftlers wie Kampflust, Widerspruchsgeist,
aber auch lebensferner Intellektualismus, Biederkeit, Kurzsichtigkeit, Borniert-