110 Schopenhauer als Erzieher
mögen sich herausspinnen lassen" (KSA 2, 24, 29-32). Diese Einschätzung
kann auch als Kritik an der Kantischen Transzendentalphilosophie verstanden
werden. Entschieden beanstandet N. die Tendenz der Philosophen zu Projekti-
onen, die von „ewigen Thatsachen" und „absoluten Wahrheiten" ausge-
hen (KSA 2, 25, 12-13). Er selbst hingegen konstatiert: „Alles aber ist geworden"
(KSA 2, 25, 11-12) und zieht daraus die methodische Konsequenz: „Demnach ist
das historische Philosophiren von jetzt ab nöthig und mit ihm die Tu-
gend der Bescheidung" (KSA 2, 25, 13-15). Vgl. auch NK 374, 32 - 375, 1.
356, 11-17 was uns, nach Kant, gerade Schopenhauer sein kann - der Führer
nämlich, welcher aus der Höhle des skeptischen Unmuths oder der kritisirenden
Entsagung hinauf zur Höhe der tragischen Betrachtung leitet, den nächtlichen
Himmel mit seinen Sternen endlos über uns, und der sich selbst, als der erste,
diesen Weg geführt hat.] In dieser Aussage über Schopenhauer kombiniert N.
Anspielungen auf Platon und Kant. Die in UB III SE mehrfach (354, 2; 359, 30)
vorkommende Reminiszenz an das berühmte ,Höhlengleichnis' (vgl. auch
NK 354, 2-3) im 7. Buch von Platons Politeia (514 a - 519 d) tritt hier besonders
markant hervor: erstens durch die Vorstellung des „skeptischen Unmuths" auf
Seiten der Höhlenbewohner, die von den Dingen der Außenwelt lediglich die
von einer Lichtquelle auf die Höhlenwände geworfenen Schatten wahrneh-
men, und zweitens durch die Erwähnung des Führers, der sie aus der Höhle
hinausgeleiten will, um ihnen eine adäquate Erkenntnis der Dinge zu vermit-
teln, und dabei mühselige Überzeugungsarbeit leisten muss. (Zum Platoni-
schen ,Höhlengleichnis' und seiner symbolischen Bedeutung für Platons Ide-
enlehre vgl. NK 376, 2.) Die Relation zwischen den wirklichen Dingen und ihren
bloßen Schatten analogisiert Platon gleichnishaft mit dem Verhältnis zwischen
den Ideen als Urbildern einerseits und deren bloßen Abbildern in Gestalt der
Einzelphänomene in der konkreten sinnlich erfahrbaren Welt andererseits. -
Auf diesem Dualismus basiert auch Platons Korrespondenztheorie, in der
Wahrheit als Übereinstimmung von Abbild und Urbild verstanden wird. Da
eine derartige Korrespondenz oder Adäquation eine Quantifizierbarkeit der
Wahrheit impliziert (im Sinne mehr oder weniger deutlicher Erkenntnis der
Ideen in Gestalt realer Abbilder), ist die Platonische Korrespondenz- bzw. Ab-
bildtheorie mit dem in der Kantischen Philosophie vorausgesetzten qualitati-
ven Gegensatz von Wahrheit und Falschheit nicht kompatibel.
Mit der Vorstellung der „kritisirenden Entsagung" spielt N. auf die metho-
dischen Konsequenzen von Kants Erkenntniskritik an. Und mit dem „nächtli-
chen Himmel mit seinen Sternen endlos über uns" paraphrasiert N. den „Be-
schluß" am Ende von Kants Kritik der praktischen Vernunft: „Zwei Dinge
erfüllen das Gemüth mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und
Ehrfurcht [...]: der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in
mögen sich herausspinnen lassen" (KSA 2, 24, 29-32). Diese Einschätzung
kann auch als Kritik an der Kantischen Transzendentalphilosophie verstanden
werden. Entschieden beanstandet N. die Tendenz der Philosophen zu Projekti-
onen, die von „ewigen Thatsachen" und „absoluten Wahrheiten" ausge-
hen (KSA 2, 25, 12-13). Er selbst hingegen konstatiert: „Alles aber ist geworden"
(KSA 2, 25, 11-12) und zieht daraus die methodische Konsequenz: „Demnach ist
das historische Philosophiren von jetzt ab nöthig und mit ihm die Tu-
gend der Bescheidung" (KSA 2, 25, 13-15). Vgl. auch NK 374, 32 - 375, 1.
356, 11-17 was uns, nach Kant, gerade Schopenhauer sein kann - der Führer
nämlich, welcher aus der Höhle des skeptischen Unmuths oder der kritisirenden
Entsagung hinauf zur Höhe der tragischen Betrachtung leitet, den nächtlichen
Himmel mit seinen Sternen endlos über uns, und der sich selbst, als der erste,
diesen Weg geführt hat.] In dieser Aussage über Schopenhauer kombiniert N.
Anspielungen auf Platon und Kant. Die in UB III SE mehrfach (354, 2; 359, 30)
vorkommende Reminiszenz an das berühmte ,Höhlengleichnis' (vgl. auch
NK 354, 2-3) im 7. Buch von Platons Politeia (514 a - 519 d) tritt hier besonders
markant hervor: erstens durch die Vorstellung des „skeptischen Unmuths" auf
Seiten der Höhlenbewohner, die von den Dingen der Außenwelt lediglich die
von einer Lichtquelle auf die Höhlenwände geworfenen Schatten wahrneh-
men, und zweitens durch die Erwähnung des Führers, der sie aus der Höhle
hinausgeleiten will, um ihnen eine adäquate Erkenntnis der Dinge zu vermit-
teln, und dabei mühselige Überzeugungsarbeit leisten muss. (Zum Platoni-
schen ,Höhlengleichnis' und seiner symbolischen Bedeutung für Platons Ide-
enlehre vgl. NK 376, 2.) Die Relation zwischen den wirklichen Dingen und ihren
bloßen Schatten analogisiert Platon gleichnishaft mit dem Verhältnis zwischen
den Ideen als Urbildern einerseits und deren bloßen Abbildern in Gestalt der
Einzelphänomene in der konkreten sinnlich erfahrbaren Welt andererseits. -
Auf diesem Dualismus basiert auch Platons Korrespondenztheorie, in der
Wahrheit als Übereinstimmung von Abbild und Urbild verstanden wird. Da
eine derartige Korrespondenz oder Adäquation eine Quantifizierbarkeit der
Wahrheit impliziert (im Sinne mehr oder weniger deutlicher Erkenntnis der
Ideen in Gestalt realer Abbilder), ist die Platonische Korrespondenz- bzw. Ab-
bildtheorie mit dem in der Kantischen Philosophie vorausgesetzten qualitati-
ven Gegensatz von Wahrheit und Falschheit nicht kompatibel.
Mit der Vorstellung der „kritisirenden Entsagung" spielt N. auf die metho-
dischen Konsequenzen von Kants Erkenntniskritik an. Und mit dem „nächtli-
chen Himmel mit seinen Sternen endlos über uns" paraphrasiert N. den „Be-
schluß" am Ende von Kants Kritik der praktischen Vernunft: „Zwei Dinge
erfüllen das Gemüth mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und
Ehrfurcht [...]: der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in