Stellenkommentar UB III SE 3, KSA 1, S. 357 115
„den Unterschied im Loose der Sterblichen" führt er auf „drei Grundbestim-
mungen" zurück (PP I, Hü 335): „1. Was Einer ist: also die Persönlichkeit, im
weitesten Sinne. Sonach ist hierunter Gesundheit, Kraft, Schönheit, Tempera-
ment, moralischer Charakter, Intelligenz und Ausbildung derselben begriffen.
2. Was Einer hat: also Eigenthum und Besitz in jeglichem Sinne. 3. Was Einer
vorstellt: unter diesem Ausdruck wird bekanntlich verstanden, was er in der
Vorstellung Anderer ist, also eigentlich, wie er von ihnen vorgestellt wird.
Es besteht demnach in ihrer Meinung von ihm, und zerfällt in Ehre, Rang und
Ruhm."
Schopenhauer versteht seine Aphorismen zur Lebensweisheit als „Kunst,
das Leben möglichst angenehm und glücklich durchzuführen", und dispen-
siert sich hier „von dem höheren, metaphysisch-ethischen Standpunkte" seiner
Philosophie (PP I, Hü 333), die schon die Möglichkeit eines glücklichen Lebens
negiert, also mit einem eudaimonologischen Projekt nicht kompatibel ist (vgl.
dazu auch NK 373, 4-15). Von den obigen „drei Grundbestimmungen" (PP I,
Hü 335) hält Schopenhauer die erste für die wichtigste. Über den „Menschen"
schreibt er: „durch seine Individualität ist das Maaß seines möglichen Glückes
zum Voraus bestimmt. Besonders haben die Schranken seiner Geisteskräfte sei-
ne Fähigkeit für erhöhten Genuß ein für alle Mal festgestellt. [...] Sind sie eng,
so werden alle Bemühungen von außen, Alles was Menschen, Alles was das
Glück für ihn thut, nicht vermögen, ihn über das Maaß des gewöhnlichen, halb
thierischen Menschenglücks und Behagens hinaus zu führen [...]. Hieraus also
ist klar, wie sehr unser Glück abhängt von Dem, was wir sind, von unserer
Individualität; während man meistens nur unser Schicksal, nur Das, was wir
haben, oder was wir vorstellen, in Anschlag bringt" (PP I, Hü 338). Zu
Schopenhauers divergenten Glückskonzepten vgl. Neymeyr 1996b.
357, 27-28 Es ist freilich ein Streben, welches [...] zur Resignation hinleitet] Hier
zitiert N. affirmativ aus der Tragödientheorie, die Schopenhauer im Dritten
Buch der Welt als Wille und Vorstellung II entwirft: „Was allem Tragischen [...]
den eigenthümlichen Schwung zur Erhebung giebt, ist das Aufgehn der Er-
kenntniß, daß die Welt, das Leben, kein wahres Genügen gewähren könne,
mithin unserer Anhänglichkeit nicht werth sei: darin besteht der tragische
Geist: er leitet demnach zur Resignation hin" (WWV II, Kap. 37, Hü 495). Nach
der Konzeption, die Schopenhauer unter Rekurs auf die indische Philosophie
im Vierten Buch seines Hauptwerks entfaltet, kann der Mensch, wenn er sich
vom Willen zum Leben abwendet, den Zustand „der freiwilligen Entsagung,
der Resignation, der wahren Gelassenheit und gänzlichen Willenslosigkeit"
erreichen (WWV I, § 68, Hü 448). Diese Konsequenzen aus Schopenhauers pes-
simistischer Willensmetaphysik, die N. in UB III SE noch übernimmt, verwirft
er später als lebensverneinenden „Resignationismus". So entwickelt er im „Ver-
„den Unterschied im Loose der Sterblichen" führt er auf „drei Grundbestim-
mungen" zurück (PP I, Hü 335): „1. Was Einer ist: also die Persönlichkeit, im
weitesten Sinne. Sonach ist hierunter Gesundheit, Kraft, Schönheit, Tempera-
ment, moralischer Charakter, Intelligenz und Ausbildung derselben begriffen.
2. Was Einer hat: also Eigenthum und Besitz in jeglichem Sinne. 3. Was Einer
vorstellt: unter diesem Ausdruck wird bekanntlich verstanden, was er in der
Vorstellung Anderer ist, also eigentlich, wie er von ihnen vorgestellt wird.
Es besteht demnach in ihrer Meinung von ihm, und zerfällt in Ehre, Rang und
Ruhm."
Schopenhauer versteht seine Aphorismen zur Lebensweisheit als „Kunst,
das Leben möglichst angenehm und glücklich durchzuführen", und dispen-
siert sich hier „von dem höheren, metaphysisch-ethischen Standpunkte" seiner
Philosophie (PP I, Hü 333), die schon die Möglichkeit eines glücklichen Lebens
negiert, also mit einem eudaimonologischen Projekt nicht kompatibel ist (vgl.
dazu auch NK 373, 4-15). Von den obigen „drei Grundbestimmungen" (PP I,
Hü 335) hält Schopenhauer die erste für die wichtigste. Über den „Menschen"
schreibt er: „durch seine Individualität ist das Maaß seines möglichen Glückes
zum Voraus bestimmt. Besonders haben die Schranken seiner Geisteskräfte sei-
ne Fähigkeit für erhöhten Genuß ein für alle Mal festgestellt. [...] Sind sie eng,
so werden alle Bemühungen von außen, Alles was Menschen, Alles was das
Glück für ihn thut, nicht vermögen, ihn über das Maaß des gewöhnlichen, halb
thierischen Menschenglücks und Behagens hinaus zu führen [...]. Hieraus also
ist klar, wie sehr unser Glück abhängt von Dem, was wir sind, von unserer
Individualität; während man meistens nur unser Schicksal, nur Das, was wir
haben, oder was wir vorstellen, in Anschlag bringt" (PP I, Hü 338). Zu
Schopenhauers divergenten Glückskonzepten vgl. Neymeyr 1996b.
357, 27-28 Es ist freilich ein Streben, welches [...] zur Resignation hinleitet] Hier
zitiert N. affirmativ aus der Tragödientheorie, die Schopenhauer im Dritten
Buch der Welt als Wille und Vorstellung II entwirft: „Was allem Tragischen [...]
den eigenthümlichen Schwung zur Erhebung giebt, ist das Aufgehn der Er-
kenntniß, daß die Welt, das Leben, kein wahres Genügen gewähren könne,
mithin unserer Anhänglichkeit nicht werth sei: darin besteht der tragische
Geist: er leitet demnach zur Resignation hin" (WWV II, Kap. 37, Hü 495). Nach
der Konzeption, die Schopenhauer unter Rekurs auf die indische Philosophie
im Vierten Buch seines Hauptwerks entfaltet, kann der Mensch, wenn er sich
vom Willen zum Leben abwendet, den Zustand „der freiwilligen Entsagung,
der Resignation, der wahren Gelassenheit und gänzlichen Willenslosigkeit"
erreichen (WWV I, § 68, Hü 448). Diese Konsequenzen aus Schopenhauers pes-
simistischer Willensmetaphysik, die N. in UB III SE noch übernimmt, verwirft
er später als lebensverneinenden „Resignationismus". So entwickelt er im „Ver-