124 Schopenhauer als Erzieher
Anstrengung trotzend. Dann muß man sich trösten mit der Gewißheit, zwar
die Vorurtheile gegen sich, aber die Wahrheit für sich zu haben, welche, sobald
nur ihr Bundesgenosse, die Zeit, zu ihr gestoßen seyn wird, des Sieges voll-
kommen gewiß ist, mithin, wenn auch nicht heute, doch morgen" (Schriften
zur Naturphilosophie und zur Ethik, Hü 275). Wie die ästhetische Kontemplati-
on des Künstlers setzt auch die philosophische Reflexion laut Schopenhauer
eine willensfreie und objektive Erkenntnis voraus, die erst durch die Befreiung
des Intellekts vom Willensdienst möglich wird. In seiner Schrift Ueber die Uni-
versitäts-Philosophie erklärt Schopenhauer: „Die Philosophie ist, ihrer Natur
nach, exklusiv: sie begründet ja die Denkungsart des Zeitalters: daher duldet
das herrschende System, wie die Söhne der Sultane, kein anderes neben sich.
Dazu kommt, daß hier das Urtheil höchst schwierig, ja, schon die Erlangung
der Data zu demselben mühevoll ist. Wird hier, durch Kunstgriffe, das Falsche
in Cours gebracht und überall, als das Wahre und Aechte, von belohnten Sten-
torstimmen ausgeschrien; so wird der Geist der Zeit vergiftet" (PP I, Hü 166).
Vgl. auch NK 361, 19-21.
361, 15-21 Das Urtheil der alten griechischen Philosophen über den Werth des
Daseins besagt so viel mehr als ein modernes Urtheil, [...] weil bei ihnen nicht
wie bei uns das Gefühl des Denkers sich verwirrt in dem Zwiespalte des Wunsches
nach Freiheit, Schönheit, Grösse des Lebens und des Triebes nach Wahrheit] Mit
dieser spezifisch modernen Ambivalenz, die z. B. Goethes Faust-Drama auf pa-
radigmatische Weise reflektiert, kontrastiert N. hier das homogenere Lebensge-
fühl der Antike. In seiner nachgelassenen Frühschrift Ueber Wahrheit und Lüge
im aussermoralischen Sinne von 1873 stellt er ein Jahr vor der Publikation von
UB III SE die Genese des „Trieb[es] zur Wahrheit" (KSA 1, 876, 27-28) ins Zen-
trum. - Über die Relation von Schönheit und Wahrheit reflektiert auch Scho-
penhauer in seiner Schrift Ueber die Universitäts-Philosophie. Im Unterschied
zu N. schließt er hier allerdings selbst an die Tradition der Platonischen Philo-
sophie an: „die Philosophie ist ein Ganzes, also eine Einheit, und ist auf Wahr-
heit, nicht auf Schönheit gerichtet: es giebt vielerlei Schönheit, aber nur eine
Wahrheit" (PP I, Hü 166). Schopenhauer korreliert in dieser Schrift auch Frei-
heit und Wahrheit, allerdings in einem spezifischeren Sinne, indem er die Un-
abhängigkeit des Philosophen (PP I, Hü 161, 206) als notwendige Vorausset-
zung für ein redliches, nicht durch egoistische Interessen eingeschränktes
Engagement für die Wahrheit betrachtet (PP I, Hü 152, 158, 163, 164, 166, 190,
196, 206).
361, 22-25 Es bleibt für alle Zeiten wichtig zu wissen, was Empedocles, inmitten
der kräftigsten und überschwänglichsten Lebenslust der griechischen Cultur, über
das Dasein ausgesagt hat; sein Urtheil wiegt sehr schwer] Von dem griechischen
Anstrengung trotzend. Dann muß man sich trösten mit der Gewißheit, zwar
die Vorurtheile gegen sich, aber die Wahrheit für sich zu haben, welche, sobald
nur ihr Bundesgenosse, die Zeit, zu ihr gestoßen seyn wird, des Sieges voll-
kommen gewiß ist, mithin, wenn auch nicht heute, doch morgen" (Schriften
zur Naturphilosophie und zur Ethik, Hü 275). Wie die ästhetische Kontemplati-
on des Künstlers setzt auch die philosophische Reflexion laut Schopenhauer
eine willensfreie und objektive Erkenntnis voraus, die erst durch die Befreiung
des Intellekts vom Willensdienst möglich wird. In seiner Schrift Ueber die Uni-
versitäts-Philosophie erklärt Schopenhauer: „Die Philosophie ist, ihrer Natur
nach, exklusiv: sie begründet ja die Denkungsart des Zeitalters: daher duldet
das herrschende System, wie die Söhne der Sultane, kein anderes neben sich.
Dazu kommt, daß hier das Urtheil höchst schwierig, ja, schon die Erlangung
der Data zu demselben mühevoll ist. Wird hier, durch Kunstgriffe, das Falsche
in Cours gebracht und überall, als das Wahre und Aechte, von belohnten Sten-
torstimmen ausgeschrien; so wird der Geist der Zeit vergiftet" (PP I, Hü 166).
Vgl. auch NK 361, 19-21.
361, 15-21 Das Urtheil der alten griechischen Philosophen über den Werth des
Daseins besagt so viel mehr als ein modernes Urtheil, [...] weil bei ihnen nicht
wie bei uns das Gefühl des Denkers sich verwirrt in dem Zwiespalte des Wunsches
nach Freiheit, Schönheit, Grösse des Lebens und des Triebes nach Wahrheit] Mit
dieser spezifisch modernen Ambivalenz, die z. B. Goethes Faust-Drama auf pa-
radigmatische Weise reflektiert, kontrastiert N. hier das homogenere Lebensge-
fühl der Antike. In seiner nachgelassenen Frühschrift Ueber Wahrheit und Lüge
im aussermoralischen Sinne von 1873 stellt er ein Jahr vor der Publikation von
UB III SE die Genese des „Trieb[es] zur Wahrheit" (KSA 1, 876, 27-28) ins Zen-
trum. - Über die Relation von Schönheit und Wahrheit reflektiert auch Scho-
penhauer in seiner Schrift Ueber die Universitäts-Philosophie. Im Unterschied
zu N. schließt er hier allerdings selbst an die Tradition der Platonischen Philo-
sophie an: „die Philosophie ist ein Ganzes, also eine Einheit, und ist auf Wahr-
heit, nicht auf Schönheit gerichtet: es giebt vielerlei Schönheit, aber nur eine
Wahrheit" (PP I, Hü 166). Schopenhauer korreliert in dieser Schrift auch Frei-
heit und Wahrheit, allerdings in einem spezifischeren Sinne, indem er die Un-
abhängigkeit des Philosophen (PP I, Hü 161, 206) als notwendige Vorausset-
zung für ein redliches, nicht durch egoistische Interessen eingeschränktes
Engagement für die Wahrheit betrachtet (PP I, Hü 152, 158, 163, 164, 166, 190,
196, 206).
361, 22-25 Es bleibt für alle Zeiten wichtig zu wissen, was Empedocles, inmitten
der kräftigsten und überschwänglichsten Lebenslust der griechischen Cultur, über
das Dasein ausgesagt hat; sein Urtheil wiegt sehr schwer] Von dem griechischen