Stellenkommentar UB III SE 3, KSA 1, S. 361 125
Philosophen Empedokles (ca. 500-430 v. Chr.), der in seiner Heimatstadt Agri-
gent auch eine wichtige politische Rolle spielte, die ihm angebotene Königs-
würde aber ablehnte und später ins Exil gehen musste, sind naturphilosophi-
sche und religiöse Dichtungen fragmentarisch überliefert. Möglicherweise
verfügte Empedokles auch über Kenntnisse in der Heilkunde; man schrieb ihm
sogar magische Kräfte zu. Stark ausgeprägt war das von Empedokles formulier-
te Selbstbewusstsein: So beanspruchte er apodiktisch die Rolle eines unfehlba-
ren Weisheitslehrers für sich und glaubte übernatürliche Fähigkeiten zu besit-
zen. Der Legende zufolge endete sein Leben damit, dass er sich in den Ätna
stürzte. Der von N. in UB III SE (349, 19-21) zitierte Hölderlin schrieb ein Drama
über das Schicksal des Empedokles.
Von N. selbst sind Entwürfe zu einem geplanten Empedokles-Drama über-
liefert (NL 1871, 8 [30-37], KSA 7, 233-237). In seiner nachgelassenen Schrift
Die Philosophie im tragischen Zeitalter der Griechen nennt N. „das wunderbare
Gedicht des Empedokles" (KSA 1, 811, 3). Welches „Urtheil" des Empedokles
„über das Dasein" N. in 361, 22-29 und in 363, 21 meint, bleibt unklar, aber
der Kontext lässt darauf schließen, dass es sich um ein pessimistisches Urteil
handelt, in dem N. Analogien zu Schopenhauers Bewertung des Lebens sieht.
Als Quelle kommt von den beiden Werken des Empedokles Peri physeos (Über
die Natur) und Katharmoi (Reinigungen) eher das letztere in Betracht, das eine
Affinität zur pythagoreischen Lehre erkennen lässt. Die Katharmoi sind eine
Mahnrede an die Seele, die aus der göttlichen Sphäre in die Welt verschlagen
und infolgedessen zu einem gefallenen, unreinen ,Daimon' geworden sei. Nach
einer langen Phase der Seelenwanderung kann die Seele nach Empedokles ge-
läutert (,gereinigt') ihr ursprünglich göttliches Dasein wiedergewinnen. Ein
Mittel solcher Reinigung ist die Askese, insbesondere durch die Enthaltung
von Fleischgenuss. ,Reinheit' und ,Reinigung' werden im Folgenden für N. zu
Leitmotiven (362, 20-21, 362, 27-28, 363, 10). Vgl. auch UB IV WB (KSA 1, 434,
12): „Schweigen und Reinsein!"
361, 30-33 Ein moderner Denker wird [...] immer an einem unerfüllten Wunsche
leiden: er wird verlangen, dass man ihm erst wieder Leben, wahres, rothes, ge-
sundes Leben zeige, damit er dann darüber seinen Richterspruch fälle.] ,Leben'
ist ein zentrales Thema in Goethes Faust-Drama, auf das N. in UB III SE wieder-
holt Bezug nimmt. Der Protagonist Faust leidet unter seiner sterilen Gelehrten-
existenz und sehnt sich nach authentischer Lebendigkeit: „Wo fass' ich dich,
unendliche Natur? / Euch Brüste, wo? Ihr Quellen alles Lebens" (V. 455-456).
N. selbst propagiert im Rahmen seines Vitalismus ,Leben' als Alternative zu
unfruchtbarer Decadence in einer vom Historismus geprägten Epoche. Vgl.
dazu UB II HL und den Kommentar zu dieser Schrift in NK 1/2.
Philosophen Empedokles (ca. 500-430 v. Chr.), der in seiner Heimatstadt Agri-
gent auch eine wichtige politische Rolle spielte, die ihm angebotene Königs-
würde aber ablehnte und später ins Exil gehen musste, sind naturphilosophi-
sche und religiöse Dichtungen fragmentarisch überliefert. Möglicherweise
verfügte Empedokles auch über Kenntnisse in der Heilkunde; man schrieb ihm
sogar magische Kräfte zu. Stark ausgeprägt war das von Empedokles formulier-
te Selbstbewusstsein: So beanspruchte er apodiktisch die Rolle eines unfehlba-
ren Weisheitslehrers für sich und glaubte übernatürliche Fähigkeiten zu besit-
zen. Der Legende zufolge endete sein Leben damit, dass er sich in den Ätna
stürzte. Der von N. in UB III SE (349, 19-21) zitierte Hölderlin schrieb ein Drama
über das Schicksal des Empedokles.
Von N. selbst sind Entwürfe zu einem geplanten Empedokles-Drama über-
liefert (NL 1871, 8 [30-37], KSA 7, 233-237). In seiner nachgelassenen Schrift
Die Philosophie im tragischen Zeitalter der Griechen nennt N. „das wunderbare
Gedicht des Empedokles" (KSA 1, 811, 3). Welches „Urtheil" des Empedokles
„über das Dasein" N. in 361, 22-29 und in 363, 21 meint, bleibt unklar, aber
der Kontext lässt darauf schließen, dass es sich um ein pessimistisches Urteil
handelt, in dem N. Analogien zu Schopenhauers Bewertung des Lebens sieht.
Als Quelle kommt von den beiden Werken des Empedokles Peri physeos (Über
die Natur) und Katharmoi (Reinigungen) eher das letztere in Betracht, das eine
Affinität zur pythagoreischen Lehre erkennen lässt. Die Katharmoi sind eine
Mahnrede an die Seele, die aus der göttlichen Sphäre in die Welt verschlagen
und infolgedessen zu einem gefallenen, unreinen ,Daimon' geworden sei. Nach
einer langen Phase der Seelenwanderung kann die Seele nach Empedokles ge-
läutert (,gereinigt') ihr ursprünglich göttliches Dasein wiedergewinnen. Ein
Mittel solcher Reinigung ist die Askese, insbesondere durch die Enthaltung
von Fleischgenuss. ,Reinheit' und ,Reinigung' werden im Folgenden für N. zu
Leitmotiven (362, 20-21, 362, 27-28, 363, 10). Vgl. auch UB IV WB (KSA 1, 434,
12): „Schweigen und Reinsein!"
361, 30-33 Ein moderner Denker wird [...] immer an einem unerfüllten Wunsche
leiden: er wird verlangen, dass man ihm erst wieder Leben, wahres, rothes, ge-
sundes Leben zeige, damit er dann darüber seinen Richterspruch fälle.] ,Leben'
ist ein zentrales Thema in Goethes Faust-Drama, auf das N. in UB III SE wieder-
holt Bezug nimmt. Der Protagonist Faust leidet unter seiner sterilen Gelehrten-
existenz und sehnt sich nach authentischer Lebendigkeit: „Wo fass' ich dich,
unendliche Natur? / Euch Brüste, wo? Ihr Quellen alles Lebens" (V. 455-456).
N. selbst propagiert im Rahmen seines Vitalismus ,Leben' als Alternative zu
unfruchtbarer Decadence in einer vom Historismus geprägten Epoche. Vgl.
dazu UB II HL und den Kommentar zu dieser Schrift in NK 1/2.