Stellenkommentar UB III SE 5, KSA 1, S. 379-380 193
Drama mit dem Titel Das Leben ein Traum. - Auch Schopenhauer nimmt diese
Vorstellung auf. Er betont „die enge Verwandtschaft zwischen Leben und
Traum" (WWV I, § 5, Hü 20) und stellt sie in seinem Hauptwerk folgenderma-
ßen dar: „Die Veden und Puranas wissen für die ganze Erkenntniß der wirkli-
chen Welt, welche sie das Gewebe der Maja nennen, keinen bessern Vergleich
und brauchen keinen häufiger, als den Traum. Plato sagt öfter, daß die Men-
schen nur im Traume leben, der Philosoph allein sich zu wachen bestrebe"
(WWV I, § 5, Hü 20). Dann zitiert Schopenhauer sowohl „Pindaros" als auch
„Sophokles" (ebd.). Anschließend beruft er sich auf „Shakespeare [...]: „We are
such stuff / As dreams are made of, and our little life / Is rounded with a
sleep. - Temp. A. 4, Sc. 1." (WWV I, § 5, Hü 20). Auch Calderon macht er zum
Thema: „Endlich war Calderon von dieser Ansicht so tief ergriffen, daß er in
einem gewissermaaßen metaphysischen Drama ,Das Leben ein Traum' sie aus-
zusprechen suchte" (WWV I, § 5, Hü 21). Demnach konvergieren hier Vorstel-
lungen der griechischen, indischen und deutschen Philosophie mit Topoi der
europäischen Literatur seit der Antike.
Im Anschluss an die Zitate, mit denen Schopenhauer diese reichhaltige
literarische und philosophische Tradition exemplarisch zu repräsentieren ver-
sucht, bezieht auch er selbst die Vorstellung des Lebens als Traum in seine
Reflexionen mit ein und formuliert sie zunächst mit einem „Gleichniß": „Das
Leben und die Träume sind Blätter eines und des nämlichen Buches. Das Lesen
im Zusammenhang heißt wirkliches Leben. Wann aber die jedesmalige Lese-
stunde (der Tag) zu Ende und die Erholungszeit gekommen ist, so blättern wir
oft noch müßig und schlagen, ohne Ordnung und Zusammenhang, bald hier,
bald dort ein Blatt auf [...]. Obwohl also die einzelnen Träume vom wirklichen
Leben dadurch geschieden sind, daß sie in den Zusammenhang der Erfahrung,
welcher durch dasselbe stetig geht, nicht mit eingreifen, und das Erwachen
diesen Unterschied bezeichnet; so gehört ja doch eben jener Zusammenhang
der Erfahrung schon dem wirklichen Leben als seine Form an, und der Traum
hat eben so auch einen Zusammenhang in sich dagegen aufzuweisen. Nimmt
man nun den Standpunkt der Beurtheilung außerhalb Beider an, so findet sich
in ihrem Wesen kein bestimmter Unterschied, und man ist genöthigt, den Dich-
tern zuzugeben, daß das Leben ein langer Traum sei" (WWV I, § 5, Hü 21).
380, 6-9 Aber wir fühlen zugleich, [...] wie nicht wir die Menschen sind, nach
denen die gesammte Natur sich zu ihrer Erlösung hindrängt] Mit dieser anthro-
pomorphen Beschreibung der Natur schließt N. erneut an Schopenhauers Wil-
lensphilosophie an. In der Welt als Wille und Vorstellung I erklärt Schopenhau-
er, dass „die gesammte sichtbare Welt nur die Objektivation, der Spiegel des
Willens ist, zu seiner Selbsterkenntniß, ja [...] zur Möglichkeit seiner Erlösung
ihn begleitend" (WWV I, § 52, Hü 315). Und an späterer Stelle schreibt Schopen-
Drama mit dem Titel Das Leben ein Traum. - Auch Schopenhauer nimmt diese
Vorstellung auf. Er betont „die enge Verwandtschaft zwischen Leben und
Traum" (WWV I, § 5, Hü 20) und stellt sie in seinem Hauptwerk folgenderma-
ßen dar: „Die Veden und Puranas wissen für die ganze Erkenntniß der wirkli-
chen Welt, welche sie das Gewebe der Maja nennen, keinen bessern Vergleich
und brauchen keinen häufiger, als den Traum. Plato sagt öfter, daß die Men-
schen nur im Traume leben, der Philosoph allein sich zu wachen bestrebe"
(WWV I, § 5, Hü 20). Dann zitiert Schopenhauer sowohl „Pindaros" als auch
„Sophokles" (ebd.). Anschließend beruft er sich auf „Shakespeare [...]: „We are
such stuff / As dreams are made of, and our little life / Is rounded with a
sleep. - Temp. A. 4, Sc. 1." (WWV I, § 5, Hü 20). Auch Calderon macht er zum
Thema: „Endlich war Calderon von dieser Ansicht so tief ergriffen, daß er in
einem gewissermaaßen metaphysischen Drama ,Das Leben ein Traum' sie aus-
zusprechen suchte" (WWV I, § 5, Hü 21). Demnach konvergieren hier Vorstel-
lungen der griechischen, indischen und deutschen Philosophie mit Topoi der
europäischen Literatur seit der Antike.
Im Anschluss an die Zitate, mit denen Schopenhauer diese reichhaltige
literarische und philosophische Tradition exemplarisch zu repräsentieren ver-
sucht, bezieht auch er selbst die Vorstellung des Lebens als Traum in seine
Reflexionen mit ein und formuliert sie zunächst mit einem „Gleichniß": „Das
Leben und die Träume sind Blätter eines und des nämlichen Buches. Das Lesen
im Zusammenhang heißt wirkliches Leben. Wann aber die jedesmalige Lese-
stunde (der Tag) zu Ende und die Erholungszeit gekommen ist, so blättern wir
oft noch müßig und schlagen, ohne Ordnung und Zusammenhang, bald hier,
bald dort ein Blatt auf [...]. Obwohl also die einzelnen Träume vom wirklichen
Leben dadurch geschieden sind, daß sie in den Zusammenhang der Erfahrung,
welcher durch dasselbe stetig geht, nicht mit eingreifen, und das Erwachen
diesen Unterschied bezeichnet; so gehört ja doch eben jener Zusammenhang
der Erfahrung schon dem wirklichen Leben als seine Form an, und der Traum
hat eben so auch einen Zusammenhang in sich dagegen aufzuweisen. Nimmt
man nun den Standpunkt der Beurtheilung außerhalb Beider an, so findet sich
in ihrem Wesen kein bestimmter Unterschied, und man ist genöthigt, den Dich-
tern zuzugeben, daß das Leben ein langer Traum sei" (WWV I, § 5, Hü 21).
380, 6-9 Aber wir fühlen zugleich, [...] wie nicht wir die Menschen sind, nach
denen die gesammte Natur sich zu ihrer Erlösung hindrängt] Mit dieser anthro-
pomorphen Beschreibung der Natur schließt N. erneut an Schopenhauers Wil-
lensphilosophie an. In der Welt als Wille und Vorstellung I erklärt Schopenhau-
er, dass „die gesammte sichtbare Welt nur die Objektivation, der Spiegel des
Willens ist, zu seiner Selbsterkenntniß, ja [...] zur Möglichkeit seiner Erlösung
ihn begleitend" (WWV I, § 52, Hü 315). Und an späterer Stelle schreibt Schopen-