218 Schopenhauer als Erzieher
Da Hanslick Jude war, enthält N.s Berufung auf die „deutsche Kultur" und
die oben zitierte Textvariante „er mag es als Deutscher kaum noch unter Deut-
schen aushalten" (KSA 14, 78) zugleich einen antisemitischen Akzent. Gegen
Hanslicks „Aesthetik" der Musik wendet sich N. bereits im 6. Kapitel der Geburt
der Tragödie (KSA 1, 50, 1-9). Außerdem erwähnt er Hanslick namentlich auch
in mehreren Nachlass-Notaten, in denen er die Konzentration auf die „Form"
thematisiert. Vgl. z. B.: „Die Musik ,die subjektivste' Kunst: worin eigentlich
nicht Kunst? In dem ,Subjektiven' d. h. sie ist rein pathologisch, soweit sie
nicht reine unpathologische Form ist. Als Form ist sie der Arabeske am
nächsten verwandt. Dies der Standpunkt Hanslicks. Die Kompositionen, bei
denen die ,unpathologisch wirkende Form' überwiegt, besonders Mendels-
sohn's, erhalten dadurch einen classischen Werth" (NL 1871, 9 [98], KSA 7,
310). Zu konträren Musikkonzepten vgl. NK 497, 8-12.
Zum weiteren kulturellen Hintergrund dieses musikästhetischen Diskurses
gehört Wagners antisemitisches Pamphlet Über das Judenthum in der Musik.
Hier polemisiert Wagner explizit gegen Hanslicks „Libell über das ,Musika-
lisch-Schöne', in welchem er für den allgemeinen Zweck des Musikjudenthums
mit außerordentlichem Geschick verfuhr": Wagner wirft Hanslick pseudo-intel-
lektuelle Täuschungsmanöver vor, durch die er eine Dialektik „ganz nach
feinstem philosophischen Geiste" simuliere und „die trivialsten Gemeinplätze"
zu kaschieren versuche (GSD VIII, 243; vgl. auch 251).
392, 9-11 in unanständiger Sorglichkeit, als die geplagten Sklaven der drei M,
des Moments, der Meinungen und der Moden] Bereits Schopenhauer verwendet
die Sklaven-Metaphorik mit ähnlichen Implikationen: In seinen Aphorismen
zur Lebensweisheit wird „der Sklave fremder Meinung und fremden Bedün-
kens" zum Thema (PP I, Hü 376). Indem N. in einer früheren Passage von
UB III SE die Problematik „öffentlich meinende[r] Scheinmenschen" kritisiert
(338, 34), betont er zugleich die Chance des Individuums auf Selbstentfaltung
in einem Prozess geistiger Emanzipation: Das „Glück" der Autonomie erlangt
derjenige, der selbständig eine „Befreiung" von den „Ketten der Meinungen
und der Furcht" vollzieht (338, 15-17). In anderem Zusammenhang gebraucht
N. die Sklaven-Metapher in der Geburt der Tragödie: Dort erscheint „der Jour-
nalist'" als „der papierne Sclave des Tages" (KSA 1, 130, 20). In UB I DS und
UB II HL dient die Sklaven-Metapher dazu, die entfremdenden Rahmenbedin-
gungen der strapaziösen Arbeit der Gelehrten zu kritisieren, die pragmatischen
Zwecken unterworfen ist und ohne das kreativitätsfördernde Stimulans der
Muße vonstatten geht. So vergleicht N. den in hektischem Aktionismus tätigen
Wissenschaftler-Typus in UB I DS mit einem neuen „Sclavenstand" (KSA 1, 202,
28). Und in UB II HL spricht er explizit von den „Sclaven" (KSA 1, 300, 29), die
in „der wissenschaftlichen Fabrik arbeiten" (KSA 1, 300, 26). Die Vorstellung
Da Hanslick Jude war, enthält N.s Berufung auf die „deutsche Kultur" und
die oben zitierte Textvariante „er mag es als Deutscher kaum noch unter Deut-
schen aushalten" (KSA 14, 78) zugleich einen antisemitischen Akzent. Gegen
Hanslicks „Aesthetik" der Musik wendet sich N. bereits im 6. Kapitel der Geburt
der Tragödie (KSA 1, 50, 1-9). Außerdem erwähnt er Hanslick namentlich auch
in mehreren Nachlass-Notaten, in denen er die Konzentration auf die „Form"
thematisiert. Vgl. z. B.: „Die Musik ,die subjektivste' Kunst: worin eigentlich
nicht Kunst? In dem ,Subjektiven' d. h. sie ist rein pathologisch, soweit sie
nicht reine unpathologische Form ist. Als Form ist sie der Arabeske am
nächsten verwandt. Dies der Standpunkt Hanslicks. Die Kompositionen, bei
denen die ,unpathologisch wirkende Form' überwiegt, besonders Mendels-
sohn's, erhalten dadurch einen classischen Werth" (NL 1871, 9 [98], KSA 7,
310). Zu konträren Musikkonzepten vgl. NK 497, 8-12.
Zum weiteren kulturellen Hintergrund dieses musikästhetischen Diskurses
gehört Wagners antisemitisches Pamphlet Über das Judenthum in der Musik.
Hier polemisiert Wagner explizit gegen Hanslicks „Libell über das ,Musika-
lisch-Schöne', in welchem er für den allgemeinen Zweck des Musikjudenthums
mit außerordentlichem Geschick verfuhr": Wagner wirft Hanslick pseudo-intel-
lektuelle Täuschungsmanöver vor, durch die er eine Dialektik „ganz nach
feinstem philosophischen Geiste" simuliere und „die trivialsten Gemeinplätze"
zu kaschieren versuche (GSD VIII, 243; vgl. auch 251).
392, 9-11 in unanständiger Sorglichkeit, als die geplagten Sklaven der drei M,
des Moments, der Meinungen und der Moden] Bereits Schopenhauer verwendet
die Sklaven-Metaphorik mit ähnlichen Implikationen: In seinen Aphorismen
zur Lebensweisheit wird „der Sklave fremder Meinung und fremden Bedün-
kens" zum Thema (PP I, Hü 376). Indem N. in einer früheren Passage von
UB III SE die Problematik „öffentlich meinende[r] Scheinmenschen" kritisiert
(338, 34), betont er zugleich die Chance des Individuums auf Selbstentfaltung
in einem Prozess geistiger Emanzipation: Das „Glück" der Autonomie erlangt
derjenige, der selbständig eine „Befreiung" von den „Ketten der Meinungen
und der Furcht" vollzieht (338, 15-17). In anderem Zusammenhang gebraucht
N. die Sklaven-Metapher in der Geburt der Tragödie: Dort erscheint „der Jour-
nalist'" als „der papierne Sclave des Tages" (KSA 1, 130, 20). In UB I DS und
UB II HL dient die Sklaven-Metapher dazu, die entfremdenden Rahmenbedin-
gungen der strapaziösen Arbeit der Gelehrten zu kritisieren, die pragmatischen
Zwecken unterworfen ist und ohne das kreativitätsfördernde Stimulans der
Muße vonstatten geht. So vergleicht N. den in hektischem Aktionismus tätigen
Wissenschaftler-Typus in UB I DS mit einem neuen „Sclavenstand" (KSA 1, 202,
28). Und in UB II HL spricht er explizit von den „Sclaven" (KSA 1, 300, 29), die
in „der wissenschaftlichen Fabrik arbeiten" (KSA 1, 300, 26). Die Vorstellung