434 Richard Wagner in Bayreuth
sehen in einer Reihe von Briefen betont Schiller im 16. Brief „zugleich eine auflö-
sende und eine anspannende Wirkung" des Schönen (Schiller: FA, Bd. 8, 616),
die er im Hinblick auf die Korrelation zwischen ,Formtrieb' und ,Sachtrieb' re-
flektiert und um das harmonisierende Syntheseprinzip des Spieltriebs ergänzt:
Schiller entfaltet seine antithetisch konzipierte Gedankenführung im Hinblick
auf kulturelle Entwicklung und künstlerisches Potential des Menschen im
Spannungsfeld von Vernunft und Sinnlichkeit in der genannten Schrift vor al-
lem in den Briefen 12-18. - Überlegungen zum besonderen Status des Spiels
in der Kunst finden sich auch in Gustav Gerbers zweibändigem Werk Die Spra-
che als Kunst (1871-1874). Hier erklärt Gerber: „In der Kunst also spielen wir.
[...] Wir spielen später, um uns abzuspannen von Anstrengungen, um Unange-
nehmes zeitweilig zu beseitigen, um uns zu betäuben, zu vergessen; wir spie-
len wohl auch, um zu spielen, um der Heiterkeit, Gesundheit, Kraft einen Aus-
druck zu gewähren, immer jedoch, um aus einem gedrückteren in einen
freieren, gehobenen Zustand überzugehn" (Gerber 1871, Bd. 1, 4). N. hatte sich
diesen Band 1872/1873 aus der Basler Universitätsbibliothek ausgeliehen und
ihn intensiv genutzt, um seine nachgelassene Frühschrift Ueber Wahrheit und
Lüge im aussermoralischen Sinne (1873) zu konzipieren, die von Gerbers sprach-
kritischen Reflexionen geprägt ist.
452, 26-32 Die Kämpfe, welche sie [sc. die Kunst] zeigt, sind Vereinfachungen
der wirklichen Kämpfe des Lebens; ihre Probleme sind Abkürzungen der unend-
lich verwickelten Rechnung des menschlichen Handelns und Wollens. Aber gera-
de darin liegt die Grösse und Unentbehrlichkeit der Kunst, dass sie den Schein
einer einfacheren Welt, einer kürzeren Lösung der Lebens-Räthsel erregt.] Diese
Aussagen lassen deutliche Affinitäten zu Auffassungen Schopenhauers und
Wagners erkennen. N.s Begriff „Lebens-Räthsel" korrespondiert mit den For-
mulierungen „Problem des Daseyns" und „Problem des Lebens", die Schopen-
hauer wiederholt vor allem im Zusammenhang mit der Aufgabe der Philoso-
phie verwendet, auch in seiner Schrift Ueber die Universitäts-Philosophie (vgl.
PP I, Hü 153, 169, 171, 203). Hier betont er den „wahren und furchtbaren Ernst,
mit welchem das Problem des Daseyns den Denker ergreift und sein Innerstes
erschüttert!" (PP I, Hü 169). Und im Kapitel „Selbstdenken" der Parerga und
Paralipomena II konstatiert er, „wie groß und wie nahe liegend das Problem
des Daseyns ist, dieses zweideutigen, gequälten, flüchtigen, traumartigen
Daseyns; - so groß und so nahe liegend, daß, sobald man es gewahr wird, es
alle andern Probleme und Zwecke überschattet" (PP II, Kap. 22, § 271, Hü 530).
N. zitiert die Formulierung „das Problem des Daseins" in UB III SE (KSA 1,
349, 14).
Das Phänomen einer künstlerischen Verdichtung und Konzentration erläu-
tert Schopenhauer in der Welt als Wille und Vorstellung I exemplarisch, indem
sehen in einer Reihe von Briefen betont Schiller im 16. Brief „zugleich eine auflö-
sende und eine anspannende Wirkung" des Schönen (Schiller: FA, Bd. 8, 616),
die er im Hinblick auf die Korrelation zwischen ,Formtrieb' und ,Sachtrieb' re-
flektiert und um das harmonisierende Syntheseprinzip des Spieltriebs ergänzt:
Schiller entfaltet seine antithetisch konzipierte Gedankenführung im Hinblick
auf kulturelle Entwicklung und künstlerisches Potential des Menschen im
Spannungsfeld von Vernunft und Sinnlichkeit in der genannten Schrift vor al-
lem in den Briefen 12-18. - Überlegungen zum besonderen Status des Spiels
in der Kunst finden sich auch in Gustav Gerbers zweibändigem Werk Die Spra-
che als Kunst (1871-1874). Hier erklärt Gerber: „In der Kunst also spielen wir.
[...] Wir spielen später, um uns abzuspannen von Anstrengungen, um Unange-
nehmes zeitweilig zu beseitigen, um uns zu betäuben, zu vergessen; wir spie-
len wohl auch, um zu spielen, um der Heiterkeit, Gesundheit, Kraft einen Aus-
druck zu gewähren, immer jedoch, um aus einem gedrückteren in einen
freieren, gehobenen Zustand überzugehn" (Gerber 1871, Bd. 1, 4). N. hatte sich
diesen Band 1872/1873 aus der Basler Universitätsbibliothek ausgeliehen und
ihn intensiv genutzt, um seine nachgelassene Frühschrift Ueber Wahrheit und
Lüge im aussermoralischen Sinne (1873) zu konzipieren, die von Gerbers sprach-
kritischen Reflexionen geprägt ist.
452, 26-32 Die Kämpfe, welche sie [sc. die Kunst] zeigt, sind Vereinfachungen
der wirklichen Kämpfe des Lebens; ihre Probleme sind Abkürzungen der unend-
lich verwickelten Rechnung des menschlichen Handelns und Wollens. Aber gera-
de darin liegt die Grösse und Unentbehrlichkeit der Kunst, dass sie den Schein
einer einfacheren Welt, einer kürzeren Lösung der Lebens-Räthsel erregt.] Diese
Aussagen lassen deutliche Affinitäten zu Auffassungen Schopenhauers und
Wagners erkennen. N.s Begriff „Lebens-Räthsel" korrespondiert mit den For-
mulierungen „Problem des Daseyns" und „Problem des Lebens", die Schopen-
hauer wiederholt vor allem im Zusammenhang mit der Aufgabe der Philoso-
phie verwendet, auch in seiner Schrift Ueber die Universitäts-Philosophie (vgl.
PP I, Hü 153, 169, 171, 203). Hier betont er den „wahren und furchtbaren Ernst,
mit welchem das Problem des Daseyns den Denker ergreift und sein Innerstes
erschüttert!" (PP I, Hü 169). Und im Kapitel „Selbstdenken" der Parerga und
Paralipomena II konstatiert er, „wie groß und wie nahe liegend das Problem
des Daseyns ist, dieses zweideutigen, gequälten, flüchtigen, traumartigen
Daseyns; - so groß und so nahe liegend, daß, sobald man es gewahr wird, es
alle andern Probleme und Zwecke überschattet" (PP II, Kap. 22, § 271, Hü 530).
N. zitiert die Formulierung „das Problem des Daseins" in UB III SE (KSA 1,
349, 14).
Das Phänomen einer künstlerischen Verdichtung und Konzentration erläu-
tert Schopenhauer in der Welt als Wille und Vorstellung I exemplarisch, indem