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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1,4): Kommentar zu Nietzsches "Unzeitgemässen Betrachtungen": III. Schopenhauer als Erzieher, IV. Richard Wagner in Bayreuth — Berlin, Boston: de Gruyter, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.69928#0482
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Stellenkommentar UB IV WB 5, KSA 1, S. 458-460 455

gar nicht möglich sein, daß] wüßte ich nicht, wie der schlaffe Betrieb der Kunst
durch diese selbstisch glücklichen Kunstfreunde und ihre Art von stillem
Trunk, [welchem sich diese weichlichen Liebhaber ergeben] mit der sie
sich -der Verachtung entgehen sollte: leitet sie nicht die -Der bilden-
de Künstler, welcher sich verirrt, ist zu beklagen: aber die, welche ihn nur
noch tiefer in das Irrsal treiben, unsre heutigen ,Kunstfreunde' -Giebt es
hier viele vergeudete Begabungen und Kräfte und [erweckt] macht der irrende
Künstler dem Betrachtenden immer besondere Noth, weil ihm mit der Beleh-
rung nicht zu helfen ist: so muß umgekehrt die Gesellschaft, welche -Er
wendet allen eiteln Vertröstungen den Rücken und erträgt es lieber, den tief
unbefriedigten Blick auf unser modernes Wesen zu richten als daß er sich,
nach der Art unsrer ,Kunstfreunde', einem trügerischen Behagen und einer stil-
len Trunksucht überantwortete. [Möge diese immer fortfahren]" (KGW IV 4,
132-133).
Indem N. auf „Mitleid" und „Bosheit" rekurriert, verwendet er Begriffe, die
in Schopenhauers Ethik eine zentrale Rolle spielen. In seiner Preisschrift über
die Grundlage der Moral differenziert Schopenhauer zwischen „drei Grund-
Triebfedern der menschlichen Handlungen: und allein durch Erregung der-
selben wirken alle irgend möglichen Motive. Sie sind:
a) Egoismus; der das eigene Wohl will (ist gränzenlos).
b) Bosheit; die das fremde Wehe will (geht bis zur äußersten Grausamkeit).
c) Mitleid; welches das fremde Wohl will (geht bis zum Edelmuth und zur
Großmuth)" (Schriften zur Naturphilosophie und zur Ethik, Hü 209-210).
460, 10-11 sogar der erklärte Kunstfeind als ein wirklicher und nützlicher
Bundesgenosse] Vgl. dazu ein nachgelassenes Notat, in dem N. affirmativ revo-
lutionäre Parolen aus Wagners Perspektive formuliert: „denn bisher war es in
meinen Augen eine fast verächtliche Sache, ein ,Kunstfreund' zu heißen, und
ich schätzte die deutlich erkennbaren Kunstfeinde mehr; denn bei ihnen ver-
rieth sich doch häufig das Gefühl, daß dies eine Beschäftigung einer üppigen
und selbstsüchtigen Klasse sei, fern von der Noth des Volkes und im Grunde
ein Mittel, sich gerade vom Volke zu ,distinguiren'. Nieder mit der Kunst, wel-
che nicht in sich zur Revolution der Gesellschaft, zur Erneuerung und Einigung
des Volkes drängt!" (NL 1875, 11 [28], KSA 8, 218). Mit diesen politischen Devi-
sen greift N. auf die revolutionäre Gesinnung Wagners in der Zeit um 1848
zurück, die etwa in dessen Schrift Die Kunst und die Revolution deutlich zu
erkennen ist. Im Anschluss an Wagners Konzepte setzt N. voraus, dass eine
reformierte Kunst in der Gesellschaft revolutionierende Wirkungen entfalten
solle. Lapidar und zugleich apodiktisch erklärt N. wenig später: „Wagner ist
groß, damit wir Alle groß werden" (NL 1875, 11 [36], KSA 8, 227). Zur Thematik
 
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