Stellenkommentar UB IV WB 9, KSA 1, S. 486 523
Denken das Sein nicht nur zu erkennen, sondern sogar zu corrigiren im
Stande sei. Dieser erhabene metaphysische Wahn ist als Instinct der Wissen-
schaft beigegeben und führt sie immer und immer wieder zu ihren Grenzen,
an denen sie in Kunst umschlagen muss: auf welche es eigentlich,
bei diesem Mechanismus, abgesehn ist" (KSA 1, 99, 7-17). Vgl. auch
NK 1/1, 310-311.
486, 7-8 diese Wortsprache] N. verwendet diesen Begriff in Anlehnung an
Wagner, der zwischen „Wortsprache" und „Tonsprache" differenziert und diese
beiden unterschiedlichen Ausdrucksweisen auch in ein Verhältnis zueinander
setzt, etwa in seinem theoretischen Hauptwerk Oper und Drama (GSD IV, 90,
91), das N. intensiv studierte.
486, 8 den theoretischen Menschen] N. verwendet das Wort ,theoretisch' als
Synonym für ,begrifflich-abstrakt'. In seiner antirationalistisch auf eine Kunst-
metaphysik zielenden Geburt der Tragödie beschreibt er Sokrates als Prototyp
des Theoretischen Menschen'. Vgl. dazu die Kapitel 13, 14 und 15 der Geburt
der Tragödie sowie NK 1/1, 298-300 (mit Belegen zum Typus des Theoretischen
Menschen' in nachgelassenen Notaten N.s). Zum Typus des Theoretischen
Menschen' vgl. auch NK 485, 22-28.
486, 20-21 die ausserordentliche Anforderung, welche Wagner an seine sprach-
liche Phantasie stellte] Vgl. dazu Richard Wagners Schrift Oper und Drama: „Die
Tonsprache ist Anfang und Ende der Wortsprache, wie das Gefühl Anfang
und Ende des Verstandes, der Mythos Anfang und Ende der Geschichte, die
Lyrik Anfang und Ende der Dichtkunst ist. Die Vermittlerin zwischen Anfang
und Mittelpunkt, wie zwischen diesem und dem Ausgangspunkte, ist die
Phantasie" (GSD IV, 91). In der Schrift „Zukunftsmusik" erklärt Wagner: „[...]
in seiner Sprache sucht der Dichter der abstrakten, konventionellen Bedeutung
der Worte ihre ursprünglich sinnliche unterzustellen, und durch rhythmische
Anordnung, sowie endlich durch den fast schon musikalischen Schmuck des
Reimes im Verse, sich einer Wirkung seiner Phrase zu versichern, die das Ge-
fühl wie durch Zauber gefangen nehmen und bestimmen soll. In dieser seinem
eigensten Wesen nothwendigen Tendenz des Dichters sehen wir ihn endlich an
der Gränze seines Kunstzweiges anlangen, auf welcher die Musik unmittelbar
bereits berührt wird, und als das gelungenste Werk des Dichters müßte uns
daher dasjenige gelten, welches in seiner letzten Vollendung gänzlich Musik
würde" (GSD VII, 104). - Die von Wagner beschriebene Korrelation zwischen
Dichtung und Musik weist Affinitäten zur Kunstästhetik Schopenhauers auf,
der in der Welt als Wille und Vorstellung über die Verbindung von Poesie und
Musik im Lied oder in der Oper reflektiert und der „Tonkunst" eine besondere
„Befähigung" zuspricht, weil sie „das eigentliche und wahre Wesen" von Emp-
Denken das Sein nicht nur zu erkennen, sondern sogar zu corrigiren im
Stande sei. Dieser erhabene metaphysische Wahn ist als Instinct der Wissen-
schaft beigegeben und führt sie immer und immer wieder zu ihren Grenzen,
an denen sie in Kunst umschlagen muss: auf welche es eigentlich,
bei diesem Mechanismus, abgesehn ist" (KSA 1, 99, 7-17). Vgl. auch
NK 1/1, 310-311.
486, 7-8 diese Wortsprache] N. verwendet diesen Begriff in Anlehnung an
Wagner, der zwischen „Wortsprache" und „Tonsprache" differenziert und diese
beiden unterschiedlichen Ausdrucksweisen auch in ein Verhältnis zueinander
setzt, etwa in seinem theoretischen Hauptwerk Oper und Drama (GSD IV, 90,
91), das N. intensiv studierte.
486, 8 den theoretischen Menschen] N. verwendet das Wort ,theoretisch' als
Synonym für ,begrifflich-abstrakt'. In seiner antirationalistisch auf eine Kunst-
metaphysik zielenden Geburt der Tragödie beschreibt er Sokrates als Prototyp
des Theoretischen Menschen'. Vgl. dazu die Kapitel 13, 14 und 15 der Geburt
der Tragödie sowie NK 1/1, 298-300 (mit Belegen zum Typus des Theoretischen
Menschen' in nachgelassenen Notaten N.s). Zum Typus des Theoretischen
Menschen' vgl. auch NK 485, 22-28.
486, 20-21 die ausserordentliche Anforderung, welche Wagner an seine sprach-
liche Phantasie stellte] Vgl. dazu Richard Wagners Schrift Oper und Drama: „Die
Tonsprache ist Anfang und Ende der Wortsprache, wie das Gefühl Anfang
und Ende des Verstandes, der Mythos Anfang und Ende der Geschichte, die
Lyrik Anfang und Ende der Dichtkunst ist. Die Vermittlerin zwischen Anfang
und Mittelpunkt, wie zwischen diesem und dem Ausgangspunkte, ist die
Phantasie" (GSD IV, 91). In der Schrift „Zukunftsmusik" erklärt Wagner: „[...]
in seiner Sprache sucht der Dichter der abstrakten, konventionellen Bedeutung
der Worte ihre ursprünglich sinnliche unterzustellen, und durch rhythmische
Anordnung, sowie endlich durch den fast schon musikalischen Schmuck des
Reimes im Verse, sich einer Wirkung seiner Phrase zu versichern, die das Ge-
fühl wie durch Zauber gefangen nehmen und bestimmen soll. In dieser seinem
eigensten Wesen nothwendigen Tendenz des Dichters sehen wir ihn endlich an
der Gränze seines Kunstzweiges anlangen, auf welcher die Musik unmittelbar
bereits berührt wird, und als das gelungenste Werk des Dichters müßte uns
daher dasjenige gelten, welches in seiner letzten Vollendung gänzlich Musik
würde" (GSD VII, 104). - Die von Wagner beschriebene Korrelation zwischen
Dichtung und Musik weist Affinitäten zur Kunstästhetik Schopenhauers auf,
der in der Welt als Wille und Vorstellung über die Verbindung von Poesie und
Musik im Lied oder in der Oper reflektiert und der „Tonkunst" eine besondere
„Befähigung" zuspricht, weil sie „das eigentliche und wahre Wesen" von Emp-