Stellenkommentar UB IV WB 10, KSA 1, S. 495-496 543
Wagner" in Der Fall Wagner als „Tyrann" bezeichnet (KSA 6, 29, 27-28) und
durch ihn die „Heraufkunft des Schauspielers in der Musik" reprä-
sentiert sieht: „Noch nie wurde die Rechtschaffenheit der Musiker, ihre ,Echt-
heit' gleich gefährlich auf die Probe gestellt" (KSA 6, 37, 23-27). Allerdings cha-
rakterisiert N. den Musiker Wagner nicht erst in seinen Anti-Wagner-Schriften,
sondern auch bereits in einem nachgelassenen Notat aus der Entstehungszeit
von UB IV WB als histrionische Persönlichkeit, indem er erklärt: „Als Schau-
spieler wollte er den Menschen nur als den wirksamsten und wirklichsten
nachahmen: im höchsten Affect. Denn seine extreme Natur sah in allen andern
Zuständen Schwäche und Unwahrheit. Die Gefahr der Affectmalerei ist für
den Künstler ausserordentlich. Das Berauschende, das Sinnliche Ekstatische,
das Plötzliche, das Bewegtsein um jeden Preis - schreckliche Tendenzen!"
(NL 1874, 32 [16], KSA 7, 760).
10.
496, 13-16 Ein Künstler, welcher diese Gewalt über sich hat, unterwirft sich,
selbst ohne es zu wollen, alle anderen Künstler. Ihm allein wiederum werden die
Unterworfenen, seine Freunde und Anhänger nicht zur Gefahr] Einen geradezu
institutionellen Zusammenschluss von Helfern des „Genius", die zugleich das
Schicksal von „Unterworfenen" hinzunehmen haben, propagiert N. bereits in
UB III SE. Wenn N. hier auf Möglichkeiten hinweist, den „Genius" bei seiner
Genese und beim kreativen Schaffen zu unterstützen, scheint er auch an
Wagner zu denken. Über die genialen Individuen schreibt N.: „Diese Einzelnen
sollen ihr Werk vollenden - das ist der Sinn ihres Zusammenhaltens; und alle,
die an der Institution theilnehmen, sollen bemüht sein, durch eine fortgesetzte
Läuterung und gegenseitige Fürsorge, die Geburt des Genius und das Reifwer-
den seines Werks in sich und um sich vorzubereiten. Nicht Wenige, auch aus
der Reihe der zweiten und dritten Begabungen, sind zu diesem Mithelfen be-
stimmt und kommen nur in der Unterwerfung unter eine solche Bestimmung
zu dem Gefühl, einer Pflicht zu leben und mit Ziel und Bedeutung zu leben"
(KSA 1, 402, 34 - 403, 9). Zur Thematik der sozialen Institution Bayreuth vgl.
(mit Bezug zu UB IV WB) auch Heide Schlüpmann 1977, 104-181.
496, 22-23 Er gieng immer mitten durch sie hindurch] Mit dieser Formulierung
lehnt sich N. an das Neue Testament an. Das Lukas-Evangelium (4, 28-30) be-
schreibt eine Situation, nachdem Jesus in der Synagoge gesprochen hat: „Und
als alle, die in der Synagoge waren, das hörten, wurden sie sehr zornig und
standen auf, stießen ihn zur Stadt hinaus und führten ihn an den Abhang des
Wagner" in Der Fall Wagner als „Tyrann" bezeichnet (KSA 6, 29, 27-28) und
durch ihn die „Heraufkunft des Schauspielers in der Musik" reprä-
sentiert sieht: „Noch nie wurde die Rechtschaffenheit der Musiker, ihre ,Echt-
heit' gleich gefährlich auf die Probe gestellt" (KSA 6, 37, 23-27). Allerdings cha-
rakterisiert N. den Musiker Wagner nicht erst in seinen Anti-Wagner-Schriften,
sondern auch bereits in einem nachgelassenen Notat aus der Entstehungszeit
von UB IV WB als histrionische Persönlichkeit, indem er erklärt: „Als Schau-
spieler wollte er den Menschen nur als den wirksamsten und wirklichsten
nachahmen: im höchsten Affect. Denn seine extreme Natur sah in allen andern
Zuständen Schwäche und Unwahrheit. Die Gefahr der Affectmalerei ist für
den Künstler ausserordentlich. Das Berauschende, das Sinnliche Ekstatische,
das Plötzliche, das Bewegtsein um jeden Preis - schreckliche Tendenzen!"
(NL 1874, 32 [16], KSA 7, 760).
10.
496, 13-16 Ein Künstler, welcher diese Gewalt über sich hat, unterwirft sich,
selbst ohne es zu wollen, alle anderen Künstler. Ihm allein wiederum werden die
Unterworfenen, seine Freunde und Anhänger nicht zur Gefahr] Einen geradezu
institutionellen Zusammenschluss von Helfern des „Genius", die zugleich das
Schicksal von „Unterworfenen" hinzunehmen haben, propagiert N. bereits in
UB III SE. Wenn N. hier auf Möglichkeiten hinweist, den „Genius" bei seiner
Genese und beim kreativen Schaffen zu unterstützen, scheint er auch an
Wagner zu denken. Über die genialen Individuen schreibt N.: „Diese Einzelnen
sollen ihr Werk vollenden - das ist der Sinn ihres Zusammenhaltens; und alle,
die an der Institution theilnehmen, sollen bemüht sein, durch eine fortgesetzte
Läuterung und gegenseitige Fürsorge, die Geburt des Genius und das Reifwer-
den seines Werks in sich und um sich vorzubereiten. Nicht Wenige, auch aus
der Reihe der zweiten und dritten Begabungen, sind zu diesem Mithelfen be-
stimmt und kommen nur in der Unterwerfung unter eine solche Bestimmung
zu dem Gefühl, einer Pflicht zu leben und mit Ziel und Bedeutung zu leben"
(KSA 1, 402, 34 - 403, 9). Zur Thematik der sozialen Institution Bayreuth vgl.
(mit Bezug zu UB IV WB) auch Heide Schlüpmann 1977, 104-181.
496, 22-23 Er gieng immer mitten durch sie hindurch] Mit dieser Formulierung
lehnt sich N. an das Neue Testament an. Das Lukas-Evangelium (4, 28-30) be-
schreibt eine Situation, nachdem Jesus in der Synagoge gesprochen hat: „Und
als alle, die in der Synagoge waren, das hörten, wurden sie sehr zornig und
standen auf, stießen ihn zur Stadt hinaus und führten ihn an den Abhang des