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Schmidt, Jochen; Kaufmann, Sebastian; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 3,1): Kommentar zu Nietzsches "Morgenröthe" — Berlin, Boston: de Gruyter, 2015

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https://doi.org/10.11588/diglit.70911#0031
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16 Morgenröthe

den von Schopenhauer zitierten Originalschriften und inwieweit an der Ver-
mittlung durch Schopenhauer?
Einen eigenen Bereich bilden Bücher, in denen nach einem schon von Epi-
kur und dann von den Aufklärern des 18. Jahrhunderts entwickelten Muster
moralische Probleme deterministisch auf Physiologisches reduziert werden.
Hinzukommen manche ihnen verwandte darwinistisch inspirierte Schriften
und sogar mehrere aus einem ähnlichen Interesse von N. herangezogene biolo-
gische Werke über das Verhalten der Tiere, etwa Georg Heinrich Schneider:
Der thierische Wille. Systematische Darstellung und Erklärung der thierischen
Triebe und deren Entstehung Entwickelung und Verbreitung im Thierreiche als
Grundlage zu einer vergleichenden Willenslehre (o. J. [1880]), sodann Karl Sem-
per: Die natürlichen Existenzbedingungen der Thiere (1880) und Alfred Espinas:
Die thierischen Gesellschaften. Eine vergleichend-psychologische Untersuchung
(1879).
Für eine Reihe seiner Kurztexte in der Morgenröthe studierte N. ethnologi-
sche Werke, um aus den dort dargestellten Bräuchen von Wilden Analogie-
schlüsse im Hinblick auf die genealogische Herleitung ,moralischer' Phänome-
ne zu ziehen. Namentlich verwendete er die Darstellung des Ethnologen John
Lubbock: Die Entstehung der Civilisation und der Urzustand des Menschenge-
schlechtes, erläutert durch das innere und äußere Leben der Wilden (1875), au-
ßerdem Gustav Roskoff: Das Religionswesen der rohesten Naturvölker (1880).
Gerade für N.s zentrales Interesse in der Morgenröthe, die Suspendierung aller
moralischen Vorstellungen und Wertungen, bietet die in der Freidenker-Publi-
zistik systematisch betriebene Sammlung ethnologischer Belege einen be-
trächtlichen Fundus. Die Verschiedenheit der Sitten und Wertungen sollte die
Moral relativieren, ja sie letztlich als unbegründet erweisen. Das zeigt das zeit-
genössische Schlüsselwerk von Ludwig Büchner: Kraft und Stoff (14. deutsche
Auflage 1876, besonders S. 245-250; vgl. NK M 20).
Einem angrenzenden Bereich zuzuordnen sind religionswissenschaftliche
Werke. N. studierte sie teils aus dem damals verbreiteten Interesse am Bud-
dhismus, der im Gegensatz zum Christentum kein Jenseits und keine individu-
elle Unsterblichkeit, vor allem keinen Gott kennt und insofern zu naturalisti-
schen Vorstellungen passte. Alle ,Moral' sollte aufgrund religionsvergleichen-
der Forschungen relativiert werden. In diesem Kontext benutzte N. die Studie
seines Basler Kollegen Jacob Wackernagel Über den Ursprung des Brahmanis-
mus (1877); 1881 erwarb er das Standardwerk von Hermann Oldenberg: Bud-
dha. Sein Leben, seine Lehre, seine Gemeinde (1881). Von Bedeutung waren für
N. auch die Essays des durch seine Studien im Feld der vergleichenden Religi-
onswissenschaft international renommierten [Friedrich] Max Müller. Bereits im
Oktober 1875 hatte N. dessen Einleitung in die vergleichende Religionswissen-
schaft (1874) aus der Universitätsbibliothek Basel entliehen.
 
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