Überblickskommentar 51
wie Heines frühes Erfolgsbuch, die Reisebilder, worin Heine, vor allem in der
Reise von München nach Genua, gegen Reaktion und Restauration zu Felde zog.
N. resümiert: „Der ganze grosse Hang der Deutschen gieng gegen die Aufklä-
rung, und gegen die Revolution der Gesellschaft" (171, 25 f.). Hier übernimmt
er Heines revolutionäre Tendenz sogar gegen seine eigenen sozialen und politi-
schen Überzeugungen. Denn von seinen frühen bis zu den späten Schriften
äußert er sich entschieden antirevolutionär und attackiert die „modernen Ide-
en": die Ideen von 1789.
In der Geburt der Tragödie hatte N. eine strikt antiaufklärerische Tendenz
verfolgt und das Gefühl gegen die Formen der rationalen Erkenntnis gestellt,
ganz im Sinne Wagners, der in seinen theoretischen Schriften das - in seiner
Musik zum Ausdruck kommende - „Gefühl" gegen „Vernunft", „Wissenschaft"
und „Erkenntnis" hält. Für Wagner zeigte sich der „Verfall der griechischen
Tragödie", als die „Verstandesreflexion" (bei N. erscheint sie als „Sokratis-
mus") über das „Gefühl" gesiegt habe (Oper und Drama, GSD IV, 144). Insofern
handelt es sich in der Morgenröthe auch, wie schon in Menschliches, Allzu-
menschliches, um ein Abarbeiten eigener früherer Positionen sowie der von
Wagner und seiner Musik ausgehenden einstigen Faszination, wenn er
schreibt: „Der Cultus des Gefühls wurde aufgerichtet an Stelle des Cultus' der
Vernunft, und die deutschen Musiker, als die Künstler des Unsichtbaren,
Schwärmerischen, Märchenhaften, Sehnsüchtigen, bauten an dem neuen Tem-
pel erfolgreicher, als alle Künstler des Wortes und der Gedanken" (171, 31-172,
3).
In seiner abschließenden Folgerung aus dem Bekenntnis zur Aufklärung
versteht N. diese nicht bloß als historisch bereits erreichtes Stadium, sondern
als Aufgabe, die er sich selbst angesichts eines unaufhaltsamen modernen Pro-
zesses für die Zukunft stellt: „Diese Aufklärung haben wir jetzt weiterzufüh-
ren", und zwar „unbekümmert darum, dass es eine ,grosse Revolution' und
wiederum eine ,grosse Reaction' gegen dieselbe gegeben hat, ja dass es Beides
noch giebt" (172, 25-28). Er sieht die Geschichte des 19. Jahrhunderts bis zur
eigenen Zeit als ein von der Französischen Revolution von 1789 ausgehendes
und sich dann in den revolutionären Erschütterungen von 1830 und 1848 fort-
setzendes Geschehen, das seit der Metternichschen Restauration zu weiteren
neuen Schüben der Reaktion führte. Doch wertet er diese historischen Antago-
nismen als bloße „Wellenspiele" (172, 29) über einer immer weiter fortreißen-
den aufklärerischen Grundströmung. Damit trägt er einer im 19. Jahrhundert
auf allen Gebieten sich abzeichnenden Dynamik Rechnung: Im Bereich der Re-
ligion hatte er, der anfangs noch Theologie studierte, die sich in dem Werk von
David Friedrich Strauß (Das Leben Jesu, 1. Aufl. 1835, 2. Aufl. 1864 [NPB]) mar-
kant abzeichnende Historisierung der biblischen Überlieferung und die daraus
wie Heines frühes Erfolgsbuch, die Reisebilder, worin Heine, vor allem in der
Reise von München nach Genua, gegen Reaktion und Restauration zu Felde zog.
N. resümiert: „Der ganze grosse Hang der Deutschen gieng gegen die Aufklä-
rung, und gegen die Revolution der Gesellschaft" (171, 25 f.). Hier übernimmt
er Heines revolutionäre Tendenz sogar gegen seine eigenen sozialen und politi-
schen Überzeugungen. Denn von seinen frühen bis zu den späten Schriften
äußert er sich entschieden antirevolutionär und attackiert die „modernen Ide-
en": die Ideen von 1789.
In der Geburt der Tragödie hatte N. eine strikt antiaufklärerische Tendenz
verfolgt und das Gefühl gegen die Formen der rationalen Erkenntnis gestellt,
ganz im Sinne Wagners, der in seinen theoretischen Schriften das - in seiner
Musik zum Ausdruck kommende - „Gefühl" gegen „Vernunft", „Wissenschaft"
und „Erkenntnis" hält. Für Wagner zeigte sich der „Verfall der griechischen
Tragödie", als die „Verstandesreflexion" (bei N. erscheint sie als „Sokratis-
mus") über das „Gefühl" gesiegt habe (Oper und Drama, GSD IV, 144). Insofern
handelt es sich in der Morgenröthe auch, wie schon in Menschliches, Allzu-
menschliches, um ein Abarbeiten eigener früherer Positionen sowie der von
Wagner und seiner Musik ausgehenden einstigen Faszination, wenn er
schreibt: „Der Cultus des Gefühls wurde aufgerichtet an Stelle des Cultus' der
Vernunft, und die deutschen Musiker, als die Künstler des Unsichtbaren,
Schwärmerischen, Märchenhaften, Sehnsüchtigen, bauten an dem neuen Tem-
pel erfolgreicher, als alle Künstler des Wortes und der Gedanken" (171, 31-172,
3).
In seiner abschließenden Folgerung aus dem Bekenntnis zur Aufklärung
versteht N. diese nicht bloß als historisch bereits erreichtes Stadium, sondern
als Aufgabe, die er sich selbst angesichts eines unaufhaltsamen modernen Pro-
zesses für die Zukunft stellt: „Diese Aufklärung haben wir jetzt weiterzufüh-
ren", und zwar „unbekümmert darum, dass es eine ,grosse Revolution' und
wiederum eine ,grosse Reaction' gegen dieselbe gegeben hat, ja dass es Beides
noch giebt" (172, 25-28). Er sieht die Geschichte des 19. Jahrhunderts bis zur
eigenen Zeit als ein von der Französischen Revolution von 1789 ausgehendes
und sich dann in den revolutionären Erschütterungen von 1830 und 1848 fort-
setzendes Geschehen, das seit der Metternichschen Restauration zu weiteren
neuen Schüben der Reaktion führte. Doch wertet er diese historischen Antago-
nismen als bloße „Wellenspiele" (172, 29) über einer immer weiter fortreißen-
den aufklärerischen Grundströmung. Damit trägt er einer im 19. Jahrhundert
auf allen Gebieten sich abzeichnenden Dynamik Rechnung: Im Bereich der Re-
ligion hatte er, der anfangs noch Theologie studierte, die sich in dem Werk von
David Friedrich Strauß (Das Leben Jesu, 1. Aufl. 1835, 2. Aufl. 1864 [NPB]) mar-
kant abzeichnende Historisierung der biblischen Überlieferung und die daraus