Metadaten

Schmidt, Jochen; Kaufmann, Sebastian; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 3,1): Kommentar zu Nietzsches "Morgenröthe" — Berlin, Boston: de Gruyter, 2015

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.70911#0184
Lizenz: In Copyright
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Stellenkommentar Erstes Buch, KSA 3, S. 80 169

Sie musste aufhören nach der Zerstörung Jerusalems. Aber das gebratene
Lamm ist ,ein Symbol des Kreuzesleidens', das Christus auf sich nehmen sollte;
denn die Spiesse, an denen das Lamm zubereitet wird, bedeuten das Kreuz, an
dem Christus stirbt" (Engelhardt 1878, 297 f.; Nachweise: Brusotti 2001, 429 f.).
Das allegorisierende und typologisierende Verfahren, das N. im Folgenden at-
tackiert, war schon im Hellenismus verbreitet und wuchs sich bis zur Spätanti-
ke immer mehr aus. N.s Freund Franz Overbeck urteilt über die allegorische
Exegese positiver (Overbeck 1963, 89 f.). Die alte allegorische Exegese, schreibt
Overbeck, sei besser als die moderne: „Die allegorische Interpretation hat in
Kirche und Theologie hohe, einzigartige Bedeutung gehabt. Sie ist noch heute
unter die Möglichkeiten zu rechnen, die es für das Christentum gibt, sich in
der Welt zu behaupten" (Overbeck 1963, 89).
Zum abschließenden Passus 80, 14-18: „Man erwäge, dass die Kirche nicht
davor erschrak, den Text der Septuaginta zu bereichern (z. B. bei Psalm 96, V.
10), um die eingeschmuggelte Stelle nachher im Sinne der christlichen Prophe-
zeiung auszunützen. Man war eben im Kampfe und dachte an den Gegner,
und nicht an die Redlichkeit." Die Septuaginta ist die bedeutende Übersetzung
des Alten Testaments in das vom alexandrinischen Judentum gesprochene
Griechisch. Sie entstand vom dritten bis zum ersten Jahrhundert v. Chr. Die
Bezeichnung „Septuaginta" („siebzig", nämlich 70 Dolmetscher) leitet sich von
den 72 Dolmetschern, eigentlich: Übersetzern her, denen man das große Über-
setzungswerk zuschrieb. N. greift in dem hier zitierten Passus nochmals auf
Moritz von Engelhardts Das Christenthum Justins des Märtyrers (1878) zurück.
Dort heißt es: „Endlich haben die Juden noch ein wichtiges Wörtchen aus dem
96. Psalm beseitigt, nämlich im 10. Verse, wo es heisst ,,ό κύριος έβασίλευσεν
[„Der Herr ist König"]. Dort haben sie den [von den Christen später eingefüg-
ten] Zusatz ,,άπό τοϋ ξύλου" [„vom Kreuzesholz"] fortgelassen. / Sieht man ab
von der Stelle Jerem. 11, 19, in Betreff derer sich Justin einfach geirrt hat, so
legen seine Ausführungen dafür Zeugniss ab, dass man schon sehr früh in der
Kirche den Versuch machte, den Text der LXX [der Septuaginta] zu bereichern.
Justin ist des guten Glaubens, dass diese Zusätze von jeher zur Schrift gehört
haben" (Engelhardt 1878, 298). Anmerkung: „Maranus und Otto haben
nachgewiesen, dass Lactanz die erste Stelle, Irenäus aber die zweite aus Jere-
mias kenne und dass der von christlicher Hand stammende Zusatz ,,άπό τοϋ
ξύλου" den Abendländern, Tertullian, Ambrosius, Augustin und anderen be-
kannt war. Vgl. Otto, Dial. C. Tr. 257. 55." (Nachweis: Brusotti 2001, 431).
85
80, 20 Feinheit im Mangel.] N. verteidigt die „Mythologie der Griechen",
weil sie nicht zu einer dogmatisch verbindlichen und theologisch ausgeform-
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften