Stellenkommentar Zweites Buch, KSA 3, S. 133-137 225
in zitathafte Anführungszeichen - : „Auf deutschem Boden hat Schopenhauer,
auf englischem John Stuart Mill der Lehre von den sympathischen Affectionen
und vom Mitleiden oder vom Nutzen Anderer als dem Princip des Handelns
die meiste Berühmtheit gegeben" (123, 28-32). Den gleichen Ausdruck verwen-
det N. nochmals, und wieder im Hinblick auf das Mitleid in M 172 (153, 10-16),
und von neuem in M 174 (156, 9 f.).
144
136, 20 Die Ohren vor dem Jammer zuhalten.] N. wiederholt hier das
schon in mehreren vorausgehenden Texten vorgebrachte Argument Senecas
und in seinem Gefolge Kants: dass die Hingabe an das Gefühl des Mitleids
nicht nur uns selbst schadet, sondern uns auch daran hindert, den Unglückli-
chen zu helfen: „Wir können weder hülfreich noch erquicklich für sie
sein, wenn wir das Echo ihres Jammers sein wollen" (136, 25-27). Vgl. Μ 134,
Μ 137. Die folgende Aussage: „es sei denn, dass wir die Kunst der Olympier
erlernten und uns fürderhin am Unglück der Menschen erbauten" (136, 28-
30) greift Vorstellungen auf, die N. aus Herbert Spencers Werk Die Thatsachen
der Ethik (1879) schon in M 18 übernommen hatte (vgl. den Kommentar hierzu).
145
137, 4 „Unegoistisch!"] Die hier angeführten Möglichkeiten einer nur
scheinbar altruistischen, in Wirklichkeit aber aus eigenen Bedürfnissen ent-
springenden Verhaltensweise übernimmt N. aus einer seiner Hauptquellen für
die Morgenröthe: aus dem Handbuch der Moral von Johann Julius Baumann
(1879). Darin heißt es: „Unter Liebe wird oft blos ein formales Verhalten zu
anderen Menschen verstanden, wie etwa: sich die Zwecke anderer zu seinen
Zwecken machen, oder, wie Hegel sie definirt hat, sein Sein in einem Anderen
haben. In diesem formalen Sinne wäre es vielleicht gerathener, statt Liebe Al-
truismus zu sagen, vivre pour autrui (Comte); denn diese Liebe kann aus blos-
sem Mangel an eigenem Inhalt, aus blosser Leere hervorgehen [N.: „Jener ist
hohl und will voll werden"]. Sie kann blinde Hingebung an das Starke und
Imponirende sein, was in Anderen hervortritt, gleichgültig welchen Inhalt es
dabei hat. Solche Liebe hat sich grossen Feldherrn und Eroberern gegenüber
mehr gezeigt, als erhabenen Erscheinungen wie Christo gegenüber [...] Umge-
kehrt giebt es auch eine Liebe aus vollem Herzen und sogar aus Ueberfluss [N.:
„Dieser ist überfüllt und will sich ausleeren"], welche eher Altruismus zu nen-
nen wäre, es ist dies das Eingehen auf Andere, welches mit grossem Thätig-
in zitathafte Anführungszeichen - : „Auf deutschem Boden hat Schopenhauer,
auf englischem John Stuart Mill der Lehre von den sympathischen Affectionen
und vom Mitleiden oder vom Nutzen Anderer als dem Princip des Handelns
die meiste Berühmtheit gegeben" (123, 28-32). Den gleichen Ausdruck verwen-
det N. nochmals, und wieder im Hinblick auf das Mitleid in M 172 (153, 10-16),
und von neuem in M 174 (156, 9 f.).
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136, 20 Die Ohren vor dem Jammer zuhalten.] N. wiederholt hier das
schon in mehreren vorausgehenden Texten vorgebrachte Argument Senecas
und in seinem Gefolge Kants: dass die Hingabe an das Gefühl des Mitleids
nicht nur uns selbst schadet, sondern uns auch daran hindert, den Unglückli-
chen zu helfen: „Wir können weder hülfreich noch erquicklich für sie
sein, wenn wir das Echo ihres Jammers sein wollen" (136, 25-27). Vgl. Μ 134,
Μ 137. Die folgende Aussage: „es sei denn, dass wir die Kunst der Olympier
erlernten und uns fürderhin am Unglück der Menschen erbauten" (136, 28-
30) greift Vorstellungen auf, die N. aus Herbert Spencers Werk Die Thatsachen
der Ethik (1879) schon in M 18 übernommen hatte (vgl. den Kommentar hierzu).
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137, 4 „Unegoistisch!"] Die hier angeführten Möglichkeiten einer nur
scheinbar altruistischen, in Wirklichkeit aber aus eigenen Bedürfnissen ent-
springenden Verhaltensweise übernimmt N. aus einer seiner Hauptquellen für
die Morgenröthe: aus dem Handbuch der Moral von Johann Julius Baumann
(1879). Darin heißt es: „Unter Liebe wird oft blos ein formales Verhalten zu
anderen Menschen verstanden, wie etwa: sich die Zwecke anderer zu seinen
Zwecken machen, oder, wie Hegel sie definirt hat, sein Sein in einem Anderen
haben. In diesem formalen Sinne wäre es vielleicht gerathener, statt Liebe Al-
truismus zu sagen, vivre pour autrui (Comte); denn diese Liebe kann aus blos-
sem Mangel an eigenem Inhalt, aus blosser Leere hervorgehen [N.: „Jener ist
hohl und will voll werden"]. Sie kann blinde Hingebung an das Starke und
Imponirende sein, was in Anderen hervortritt, gleichgültig welchen Inhalt es
dabei hat. Solche Liebe hat sich grossen Feldherrn und Eroberern gegenüber
mehr gezeigt, als erhabenen Erscheinungen wie Christo gegenüber [...] Umge-
kehrt giebt es auch eine Liebe aus vollem Herzen und sogar aus Ueberfluss [N.:
„Dieser ist überfüllt und will sich ausleeren"], welche eher Altruismus zu nen-
nen wäre, es ist dies das Eingehen auf Andere, welches mit grossem Thätig-