Stellenkommentar Drittes Buch, KSA 3, S. 141-142 231
qu'il y en ait plusieurs [reflexions] sur un meme sujet, on n'a pas cru les devoir
toujours mettre de suite, de crainte d'ennuyer le Lecteur" (La Rochefoucauld:
Preface de la premiere edition (1665)); gleichlautend der Schluss der Vorreden
zu den späteren Ausgaben („Und obwohl es mehrere [Reflexionen] über dassel-
be Sujet gibt, glaubte man nicht diese aufeinander folgen lassen zu sollen, aus
Furcht, den Leser zu langweilen". Anders als in den ersten beiden Büchern
spielt nun La Rochefoucaulds Hauptthema, die Rückführung aller scheinbar
altruistischen Handlungen auf egoistische Motive, keine Rolle mehr - ohnehin
hatte N. La Rochefoucaulds moralistische Entlarvungsstrategie ins Gegenteil
verkehrt, indem er gerade für das Ego als obersten Wert plädierte und den
Altruismus ablehnte. Auch in einer anderen Hinsicht unterscheidet sich N. von
La Rochefoucauld und von Paul Ree: Das „Weib", ein unerschöpfliches Lieb-
lingsthema der moralistischen Literatur, kommt in den 575 Texten der Morgen-
röthe kaum vor, dafür aber schon bald darauf in der Fröhlichen Wissenschaft.
149
141, 3 Kleine abweichende Handlungen thun noth!] Um die - frei-
lich kaum gegebene - Kontinuität des übergeordneten Themas der „morali-
schen Vorurtheile" zu markieren, spricht N. hier in wenig präziser Weise wie-
der vom „Vorurtheil" (141, 21), und er nimmt die im ersten Buch mehrmals
formulierte Einsicht nochmals auf, dass die Moral nur auf dem unhinterfragten
Herkommen beruht. Aber er geht nun von hier aus weiter, indem er sich gegen
die alltäglichen Verhaltensweisen und Handlungen von „vielen leidlich freige-
sinnten Menschen" (141, 9) ausspricht, die trotz ihrer „besseren Einsicht" (141,
5) in das obsolete Herkommen dazu beitragen, dieses durch falsche Konzilianz,
Feigheit oder Bequemlichkeit zu befestigen.
150
142, 5 Der Zufall der Ehen.] Wieder, wie schon in den beiden ersten Bü-
chern, setzt N. den „Einzelnen" (142, 8; 142, 17) als höchsten Wert an, wenn
auch nicht so, wie er gegenwärtig in seiner Lebensrealität ist, sondern wie er
„vorwärts kommen" kann (142, 8) durch „Ringen und Siegen" (142, 11). Diese
Möglichkeit der Höherentwicklung, die er später mit der Vorstellung der „Züch-
tung" verbindet, sieht er primär nicht durch die Ehe selbst, sondern durch
deren „Zufall" gefährdet - ein Gedanke, den er in M 151 weiter ausführt.
Die „Götter Epikurs", die N. im Schlusssatz herbeizitiert, wohnen Epikur
zufolge in einer Zwischenwelt, den Intermundien, und kümmern sich weder
qu'il y en ait plusieurs [reflexions] sur un meme sujet, on n'a pas cru les devoir
toujours mettre de suite, de crainte d'ennuyer le Lecteur" (La Rochefoucauld:
Preface de la premiere edition (1665)); gleichlautend der Schluss der Vorreden
zu den späteren Ausgaben („Und obwohl es mehrere [Reflexionen] über dassel-
be Sujet gibt, glaubte man nicht diese aufeinander folgen lassen zu sollen, aus
Furcht, den Leser zu langweilen". Anders als in den ersten beiden Büchern
spielt nun La Rochefoucaulds Hauptthema, die Rückführung aller scheinbar
altruistischen Handlungen auf egoistische Motive, keine Rolle mehr - ohnehin
hatte N. La Rochefoucaulds moralistische Entlarvungsstrategie ins Gegenteil
verkehrt, indem er gerade für das Ego als obersten Wert plädierte und den
Altruismus ablehnte. Auch in einer anderen Hinsicht unterscheidet sich N. von
La Rochefoucauld und von Paul Ree: Das „Weib", ein unerschöpfliches Lieb-
lingsthema der moralistischen Literatur, kommt in den 575 Texten der Morgen-
röthe kaum vor, dafür aber schon bald darauf in der Fröhlichen Wissenschaft.
149
141, 3 Kleine abweichende Handlungen thun noth!] Um die - frei-
lich kaum gegebene - Kontinuität des übergeordneten Themas der „morali-
schen Vorurtheile" zu markieren, spricht N. hier in wenig präziser Weise wie-
der vom „Vorurtheil" (141, 21), und er nimmt die im ersten Buch mehrmals
formulierte Einsicht nochmals auf, dass die Moral nur auf dem unhinterfragten
Herkommen beruht. Aber er geht nun von hier aus weiter, indem er sich gegen
die alltäglichen Verhaltensweisen und Handlungen von „vielen leidlich freige-
sinnten Menschen" (141, 9) ausspricht, die trotz ihrer „besseren Einsicht" (141,
5) in das obsolete Herkommen dazu beitragen, dieses durch falsche Konzilianz,
Feigheit oder Bequemlichkeit zu befestigen.
150
142, 5 Der Zufall der Ehen.] Wieder, wie schon in den beiden ersten Bü-
chern, setzt N. den „Einzelnen" (142, 8; 142, 17) als höchsten Wert an, wenn
auch nicht so, wie er gegenwärtig in seiner Lebensrealität ist, sondern wie er
„vorwärts kommen" kann (142, 8) durch „Ringen und Siegen" (142, 11). Diese
Möglichkeit der Höherentwicklung, die er später mit der Vorstellung der „Züch-
tung" verbindet, sieht er primär nicht durch die Ehe selbst, sondern durch
deren „Zufall" gefährdet - ein Gedanke, den er in M 151 weiter ausführt.
Die „Götter Epikurs", die N. im Schlusssatz herbeizitiert, wohnen Epikur
zufolge in einer Zwischenwelt, den Intermundien, und kümmern sich weder