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Schmidt, Jochen; Kaufmann, Sebastian; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 3,1): Kommentar zu Nietzsches "Morgenröthe" — Berlin, Boston: de Gruyter, 2015

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https://doi.org/10.11588/diglit.70911#0249
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234 Morgenröthe

18. Jahrhundert beliebt. Oft wendet N. dabei das Schema psychologischer Kom-
pensation an: Aus den jeweils entgegengesetzten Zuständen und inneren Be-
findlichkeiten entsteht ein entsprechend entgegengesetztes kompensatorisches
Bedürfnis. Vgl. Μ 156, Μ 572.

155
144, 2 Erloschene Skepsis.] Der Satz „wir sind dazu unfähig geworden an
eine uns bestimmte Zukunft zu glauben" (144, 6 f.) ist vor dem Hinter-
grund der Zeitstimmung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu verste-
hen. N. sieht sie wesentlich bestimmt durch einen rückwärtsgewandten Histo-
rismus, den er schon in der zweiten der Unzeitgemäßen Betrachtungen: Vom
Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben als „Nachtheil" diagnostiziert.
Wie zuvor in der Geburt der Tragödie findet er diesen Nachteil vor allem in
dem lähmenden Bewusstsein der Epigonalität, das zeittypisch war (vgl. NK 1/
1, 75, 25-32). Dagegen wendet sich N. bereits früh immer wieder emphatisch
beschwörend der „Zukunft" zu. In der Schlusspartie der Historienschrift setzt
er seine Zukunftshoffnung auf die „Jugend". Die vierte der Unzeitgemäßen Be-
trachtungen: Richard Wagner in Bayreuth gipfelt in der Hoffnung auf „Men-
schen der Zukunft", allerdings sagt N. nicht, wie diese „Zukunft" aussehen
soll. Am Ende von UB IV greift er lediglich auf Wagners Siegfried-Figur als
Zukunfts-Ideal zurück. Mit seinem auf das Epigonen- und Spätzeitsyndrom re-
agierenden Wunsch nach „Zukunft" folgt er der ganz auf die Beschwörung von
„Zukunft" angelegten Schlusspartie von Wagners Hauptschrift Oper und Dra-
ma (GSD IV, 228 f.) sowie Wagners programmatischer Schrift Das Kunstwerke der
Zukunft (GSD III, 42-177). In M 551 lautet das Thema „Von zukünftigen
Tugenden".

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144, 12 Aus Übermuth böse.] Dem einleitenden Pseudo-Zitat „Dass wir
uns nur nicht zu wohl fühlen!" liegt die Sorge - N. spricht sogar von „Herzens-
angst" (144, 13) - der Griechen vor der Hybris zugrunde: vor der Überschrei-
tung des dem Menschen gesetzten Maßes, die N. mit dem „Übermuth" meint.
Aus dieser Sorge resultierte in den Sprüchen der Sieben Weisen, die N. gele-
gentlich zitiert, die Warnung vor dem Übermaß (vgl. vor allem M 559 und NK
hierzu); das tragische Verhängnis in den griechischen Tragödien entsteht oft
aus der Hybris oder aus anderen Gründen für das Verfehlen des Maßes. Aristo-
teles statuiert in seiner Nikomachischen Ethik das Maß, das er als die Mitte
 
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