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Schmidt, Jochen; Kaufmann, Sebastian; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 3,1): Kommentar zu Nietzsches "Morgenröthe" — Berlin, Boston: de Gruyter, 2015

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https://doi.org/10.11588/diglit.70911#0267
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252 Morgenröthe

der Schlacht bei Marathon (490 v. Chr.) mit, Themistokles rettete Athen durch
die siegreiche Seeschlacht bei Salamis (480 v. Chr.). In seiner wohl ältesten
Tragödie Die Perser stellte Aischylos die Seeschlacht bei Salamis dar; später
erklärt Herodot in seinem Geschichtswerk den Krieg mit den Persern zum epo-
chalen Ereignis. Wie immer nach siegreichen Kriegen wurden einzelne Kriegs-
helden und Heldentaten gerühmt; am bekanntesten ist die todesmutige Vertei-
digung der Landenge an den Thermopylen, wo es einer kleinen Schar von
Spartanern gelang, den Durchmarsch der großen persischen Heeresmacht auf-
zuhalten. All dies auf eine „kriegerische Grundverfassung des Gemüths" hin
zu interpretieren, bleibt psychologische Spekulation. Sie ist interessengelenkt:
N., der schon in einer ganzen Sequenz von Texten (Μ 132-146) das von Scho-
penhauer als Grundlage der Moral verstandene „Mitleid" in Frage stellt, wen-
det sich nun erneut gegen das „Mitleiden" (153, 2; 153, 10), indem er dieses
ausschließlich weichherzigen „Seelen", ja ganz zum Schluss den „Seelchen
des verschwindenden Zeitalters" zuschreibt (153, 32). Dagegen fordert er leit-
motivisch ein neues Zeitalter der „Härte", in dem „harte" Menschen (153, 28)
den erwünschten Typus verkörpern. Mit diesem Programm der Härte für ein
erhofftes neues Zeitalter verrät er trotz zunehmenden Distanzierungen vom
neuen Kaiserreich eine Affinität zum preußischen Militarismus, der sich nach
dem siegreichen deutsch-französischen Krieg von 1870/71 verstärkte, ebenso
wie zu den bereits aktuellen Gewaltideologien des Imperialismus.
Die Aussagen über die griechische Tragödie fallen geradezu konträr zu
denjenigen in der Geburt der Tragödie aus. Dort war die griechische Tragödie
auf die pessimistische Weltanschauung Schopenhauers hin perspektiviert wor-
den. Ihr tragisches Geschehen sollte ein prinzipiell pessimistisches Verständnis
des Daseins bezeugen, wie es schon Schopenhauer selbst in denjenigen Partien
seines Hauptwerks Die Welt als Wille und Vorstellung nahelegt, in denen er von
der griechischen Tragödie handelt. In M 172 dagegen soll die Tragödie - und
letztlich auch die „Musik" (153, 26; 153, 30) - eine neue Daseinsberechtigung
erhalten, indem das (von N. ansonsten abgelehnte) „Mitleid", welches das tra-
gische Geschehen erregt, die nach N.s Wunsch „in sich hart" gewordenen (153,
28) Menschen zu kompensatorischen Zwecken ein wenig rührt.
173
154, 2 Die Lobredner der Arbeit} Nachdem in der Antike aufgrund der
Sklavenwirtschaft die Arbeit als eines freien Mannes nicht würdig erachtet wor-
den war und später im Ständestaat keine eigene Wertigkeit hatte, änderte sich
dies im 18. und im 19. Jahrhundert. Arbeit wurde von der liberalen Wirtschafts-
lehre als produktive Leistung verstanden, die dem Wohlstand und dem Fort-
 
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