Stellenkommentar Drittes Buch, KSA 3, S. 173 281
monstrieren. Erstens reißt er den von ihm zitierten Vers aus dem Kontext, der
seine Ausdeutung im Sinne von „hündisch", „schamlos" nicht erlaubt. Schon
im ersten Satz hatte er von der „Scham des guten Rufs" aufgrund unserer an-
geblich ererbten „Vornehmheit" gesprochen, um damit auf das konstruierte Ge-
genbild zuzusteuern. Zweitens - und allgemeiner - verstößt N. mit dem mani-
pulierten Paradigma Odysseus, mit dem er generell die vergleichsweise unvor-
nehme, ja zur Schamlosigkeit tendierende Art der Griechen darlegen möchte,
gegen das aus dem gesamten Geschehen der Odyssee sich ergebende Odys-
seus-Bild. Homer hatte schon in der Ilias gerade die auf den Ruhm und die
Ehre (κλέα άνδρών) gegründete, entschieden „vornehme" Adelsethik in zahl-
reichen Heldengestalten von archaischer Größe ausgestaltet. In der Odyssee
rühmt er das unbeirrbare Durchhaltevermögen, das auf Geschicklichkeit, auf
Erfindungsgeist und List, aber auch auf Kraft und eine letztlich unwandelbare
Treue zur Heimat und zu den Seinen angelegte Wesen des Odysseus. Dessen
Abenteuer und Taten werden zu einem erheblichen Teil in einer epischen
Rückschau innerhalb des Geschehens vom Sänger Demodokos am Königshof
der Phäaken vorgetragen. Sie entfalten in einer hochadligen Gesellschaft und
in einer ganz auf „vornehmen" Edelmut gestimmten Atmosphäre ihre Wirkung.
Auch die Dichtung und der Dichter selbst erhalten im Rahmen einer vorneh-
men höfischen Kultur hohen Rang - wahrscheinlich ist der Sänger Demodokos
eine Perspektivfigur, durch die Homer (oder der so genannte Dichter) seine
gesellschaftliche Rolle innerhalb der Adelsgesellschaft definiert.
Nicht weniger interessengeleitet und aberrant als die Darstellung des ho-
merischen Odysseus ist diejenige des Themistokles. N.s Quelle ist Schopenhau-
er, der in seinen Aphorismen zur Lebensweisheit eine Episode aus Plutarchs
Vergleichenden Lebensläufen erzählt, und zwar aus dem Kapitel, das den Grie-
chen Themistokles in Parallele zu dem Römer Camillus setzt. Schopenhauer
greift diese Episode auf, um im Kontext längerer Ausführungen den Ehrbegriff
ad absurdum zu führen, der mit der Romantisierung des Rittertums in Europa
aufkam und bis zu dem im 19. Jahrhundert grassierenden Duellwesen fortlebte.
Er stellt diesen Ehrbegriff als lächerlich dar, insbesondere auf der historischen
Folie der Griechen und Römer, die „ganze Helden" hervorgebracht hätten,
ohne doch einem derart irrationalen Ehrbegriff zu verfallen. Als eines von meh-
reren Beispielen führt Schopenhauer die Konfrontation des athenischen Ober-
befehlshabers Themistokles mit dem Kommandanten der spartanischen Flotte
kurz vor der Seeschlacht bei Salamis an, in welcher die Griechen - Athener
und Spartaner - die Übermacht der persischen Flotte dank der genialen strate-
gischen Planung des Themistokles besiegen konnten. In der von Schopenhauer
aufgegriffenen Partie berichtet Plutarch, wie der spartanische Flottenkomman-
dant Eurybiades kurz vor Beginn der Schlacht angesichts der gewaltigen Über-
monstrieren. Erstens reißt er den von ihm zitierten Vers aus dem Kontext, der
seine Ausdeutung im Sinne von „hündisch", „schamlos" nicht erlaubt. Schon
im ersten Satz hatte er von der „Scham des guten Rufs" aufgrund unserer an-
geblich ererbten „Vornehmheit" gesprochen, um damit auf das konstruierte Ge-
genbild zuzusteuern. Zweitens - und allgemeiner - verstößt N. mit dem mani-
pulierten Paradigma Odysseus, mit dem er generell die vergleichsweise unvor-
nehme, ja zur Schamlosigkeit tendierende Art der Griechen darlegen möchte,
gegen das aus dem gesamten Geschehen der Odyssee sich ergebende Odys-
seus-Bild. Homer hatte schon in der Ilias gerade die auf den Ruhm und die
Ehre (κλέα άνδρών) gegründete, entschieden „vornehme" Adelsethik in zahl-
reichen Heldengestalten von archaischer Größe ausgestaltet. In der Odyssee
rühmt er das unbeirrbare Durchhaltevermögen, das auf Geschicklichkeit, auf
Erfindungsgeist und List, aber auch auf Kraft und eine letztlich unwandelbare
Treue zur Heimat und zu den Seinen angelegte Wesen des Odysseus. Dessen
Abenteuer und Taten werden zu einem erheblichen Teil in einer epischen
Rückschau innerhalb des Geschehens vom Sänger Demodokos am Königshof
der Phäaken vorgetragen. Sie entfalten in einer hochadligen Gesellschaft und
in einer ganz auf „vornehmen" Edelmut gestimmten Atmosphäre ihre Wirkung.
Auch die Dichtung und der Dichter selbst erhalten im Rahmen einer vorneh-
men höfischen Kultur hohen Rang - wahrscheinlich ist der Sänger Demodokos
eine Perspektivfigur, durch die Homer (oder der so genannte Dichter) seine
gesellschaftliche Rolle innerhalb der Adelsgesellschaft definiert.
Nicht weniger interessengeleitet und aberrant als die Darstellung des ho-
merischen Odysseus ist diejenige des Themistokles. N.s Quelle ist Schopenhau-
er, der in seinen Aphorismen zur Lebensweisheit eine Episode aus Plutarchs
Vergleichenden Lebensläufen erzählt, und zwar aus dem Kapitel, das den Grie-
chen Themistokles in Parallele zu dem Römer Camillus setzt. Schopenhauer
greift diese Episode auf, um im Kontext längerer Ausführungen den Ehrbegriff
ad absurdum zu führen, der mit der Romantisierung des Rittertums in Europa
aufkam und bis zu dem im 19. Jahrhundert grassierenden Duellwesen fortlebte.
Er stellt diesen Ehrbegriff als lächerlich dar, insbesondere auf der historischen
Folie der Griechen und Römer, die „ganze Helden" hervorgebracht hätten,
ohne doch einem derart irrationalen Ehrbegriff zu verfallen. Als eines von meh-
reren Beispielen führt Schopenhauer die Konfrontation des athenischen Ober-
befehlshabers Themistokles mit dem Kommandanten der spartanischen Flotte
kurz vor der Seeschlacht bei Salamis an, in welcher die Griechen - Athener
und Spartaner - die Übermacht der persischen Flotte dank der genialen strate-
gischen Planung des Themistokles besiegen konnten. In der von Schopenhauer
aufgegriffenen Partie berichtet Plutarch, wie der spartanische Flottenkomman-
dant Eurybiades kurz vor Beginn der Schlacht angesichts der gewaltigen Über-