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Schmidt, Jochen; Kaufmann, Sebastian; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 3,1): Kommentar zu Nietzsches "Morgenröthe" — Berlin, Boston: de Gruyter, 2015

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https://doi.org/10.11588/diglit.70911#0356
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Stellenkommentar Viertes Buch, KSA 3, S. 233-234 341

derspruch gegen die aus dem deutschen Klassizismus stammende harmonisti-
sche Sicht der griechischen Kultur und im Widerspruch gegen den Zivilisati-
onsoptimismus seiner eigenen Zeit. Ausgehend vom pessimistischen Daseins-
verständnis Schopenhauers, das er auf die griechische Tragödie projizierte,
hatte er dagegen den dunkel-tragischen Grund der griechischen Kultur statu-
iert (analog zu Schopenhauers „Willen"), über den sich eine scheinhafte Sphä-
re der Heiterkeit (analog zu Schopenhauers Kunst-Verständnis) erhebe. Zu-
gleich hatte er damit die Konstellation Dionysisch - Apollinisch korreliert. Vgl.
NK 1/1, 65, 19 f. Indirekt spielt N. in M 329 darauf an, wobei nunmehr auch
seine eigene therapeutische Gegenwendung erkennbar wird: Er schreibt der
„Heiterkeit" eine eigene, authentische Qualität zu. In der im Anschluss an die
Morgenröthe erschienenen Fröhlichen Wissenschaft erhob er die „Heiterkeit",
wie schon der Titel zeigt, zur Grundstimmung des freigeistigen Philosophen.
330
234, 2 Noch nicht genug!] Das Rezept, das N. hier formuliert, geht auf die
von ihm schon für seine Basler Rhetorik-Vorlesungen intensiv rezipierte antike
Rhetorik-Tradition zurück. Ihr zufolge darf der Redner nicht einseitig auf ratio-
nale Strategien („beweisen") setzen, sondern muss das Publikum auch emotio-
nal in Bann schlagen („verführen"). Zum „docere" (durch Lehren Erkenntnis
vermitteln, „beweisen") soll daher auch das „movere" kommen. Indem N. noch
darüber hinausgeht und pointiert, die „Weisheit" müsse oft auch wie „Thor-
heit" klingen, meint er den Reiz des Paradoxen, auf den er selbst oft setzt, um
Effekt zu erzielen (vgl. NK M 161). In Jenseits von Gut und Böse heißt es: die
„höchsten Einsichten müssen - und sollen! - wie Thorheiten, unter Umstän-
den wie Verbrechen klingen" (JGB 30, KSA 5, 48). N. evoziert als Subtext den
Brief des Paulus an die Korinther: „Hat nicht Gott die Weisheit dieser Welt zur
Torheit gemacht?" (1. Kor. 1, 20)
331
234, 8 Recht und Gränze.] Vgl. Μ 109 (98, 12-19), Μ 294, Μ 346.
332
234, 13 Der aufgeblasene Stil.] Der Ausdruck „aufgeblasener Stil" ent-
spricht dem französischen „style ampoule". Wie sonst oft, wenn N. von
„Kunst" und vom „Künstler" spricht, ist nicht zuletzt Wagner gemeint.
 
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