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Schmidt, Jochen; Kaufmann, Sebastian; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 3,1): Kommentar zu Nietzsches "Morgenröthe" — Berlin, Boston: de Gruyter, 2015

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https://doi.org/10.11588/diglit.70911#0357
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342 Morgenröthe

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234, 19 „Menschlichkeit".] Die hier implizit zum Ausdruck kommende
prinzipielle Gleichstellung von Mensch und Tier soll die Annahme einer ganz
spezifischen „Menschlichkeit" und den damit verbundenen moralischen An-
spruch widerlegen. Explizit argumentiert N. mit dieser Absicht in M 26: „Die
Thiere und die Moral".

334
234, 25 Der Wohlthätige.] Dieser Text steht in innerem Zusammenhang
mit den beiden folgenden Aphorismen. Die psychologische Interpretation der
Wohltätigkeit entspricht N.s Zurückweisung der christlichen „Nächstenliebe".
Er folgt damit einmal mehr der von ihm übernommenen Methode La Rochefou-
caulds, alles altruistische Verhalten als bloßen Schein zu enthüllen, hinter dem
ein egoistisches Bedürfnis und Interesse stecke. N. betont diese Ichbezogenheit
zusätzlich, indem er das Fehlen von Takt bei der Ausübung von Wohltätigkeit
in Erwägung zieht, weil der Wohltätige zu wenig an den „Anderen" denkt.

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235, 6 Damit Liebe als Liebe gespürt werde.] Wie schon im vorigen
Text adaptiert N. hier La Rochefoucaulds Methode, im menschlichen Verhal-
ten, selbst wo es altruistisch scheint, eine letztlich ichbezogene Motivation zu
suchen. Deshalb werden „Liebe und Güte" nur so „genannt", beruhen aber
diesem Ansatz zufolge in Wahrheit auf „Verstellung".

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235, 11 Wessen sind wir fähig?] Die „Umstände" waren schon Thema in
M 326. Hier aber hat die Berufung auf die „Umstände" eine andere Funktion,
nämlich diejenige, ein gegen moralische Gebote verstoßendes Verhalten zu
rechtfertigen. Im Horizont des Naturalismus wurden die sozialen „Umstände"
als determinierende Faktoren verstanden, die moderne Strafrechtspflege be-
rücksichtigt „mildernde Umstände". Das „Verbrechen" findet auch in anderen
Texten der Morgenröthe N.s Aufmerksamkeit. N.s Interesse am Typus des Ver-
brechers resultiert nicht zuletzt aus der Nähe zwischen diesem und dem „freien
Geist", der ebenfalls gegen gesellschaftliche Normen und Konventionen ver-
stößt.
 
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