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Schmidt, Jochen; Kaufmann, Sebastian; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 3,1): Kommentar zu Nietzsches "Morgenröthe" — Berlin, Boston: de Gruyter, 2015

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https://doi.org/10.11588/diglit.70911#0456
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Stellenkommentar Fünftes Buch, KSA 3, S. 324-325 441

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325, 2 Die guten Vier.] Zu den vier Kardinaltugenden, die Platon exponiert
(Sophrosyne, Besonnenheit = Mäßigung, Selbstbeherrschung; Phronesis, Klug-
heit; Andreia, Tapferkeit; Dikaiosyne, Gerechtigkeit) gehört von den hier auf-
gezählten nur die Tapferkeit (άνδρεία), die auch Aristoteles in der Nikomachi-
schen Ethik nennt. Zur Redlichkeit, die für N. an oberster Stelle rangiert, vgl.
Μ 167, wo, ebenfalls zuallererst, von der „Redlichkeit gegen sich sel-
ber" die Rede ist (150, 12 f.). In Μ 456 bemerkt N.: „Man beachte doch, dass
weder unter den sokratischen, noch unter den christlichen Tugenden die Red-
lichkeit vorkommt: diese ist eine der jüngsten Tugenden, noch wenig gereift,
noch oft verwechselt und verkannt" (275, 23-26; hierzu vgl. den ausführlichen
Kommentar zur ,Redlichkeit' bei N.). Die zur Kardinaltugend erhobene Forde-
rung, man solle „grossmüthig gegen den Besiegten" sein, erinnert an eine
bekannte Formulierung in Vergils Aeneis (VI, 851-853): „tu regere imperio po-
pulos, Romane, memento - / haec tibi erunt artes - pacique imponere mo-
rem, / parcere subiectis et debellare superbos" („Römer, richte deinen Sinn
darauf, die Völker kraft deiner Herrschaft zu regieren, dein Können soll darin
bestehen, friedliche Sitte zu begründen, / Unterworfene zu schonen und Empö-
rer niederzukämpfen"). „Grossmuth" (magnanimitas, μεγαλοφροσύνη) ist ein
von N. immer wieder aus der antiken, besonders aus der stoischen Ethik aufge-
nommenes Ideal. (Vgl. Μ 270 und M 315.) N.s wenig überzeugender Katalog
angeblicher Kardinaltugenden - sogar die Höflichkeit soll dazu zählen! - ist
von dem Bestreben bestimmt, möglichst ,jenseits von Gut und Böse' zu werten.
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325, 7 Auf einen Feind los.] N. möchte offensichtlich den einseitigen Ein-
druck vermeiden, den die in M 556 erhobene Forderung „tapfer gegen den
Feind" (325, 3) machen könnte. Die „schlechte Musik" ist die der Militärmär-
sche. Die Ironie der gezielt paradoxen Formulierung „Wie gut klingen schlechte
Musik und schlechte Gründe" gilt der witzigen Suspendierung der ,morali-
schen' Unterscheidung von Gut und Böse - und damit einem Hauptziel der
Morgenröthe.
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325, 11 Aber auch nicht seine Tugenden verbergen!] Diese Maxime
markiert den Widerspruch gegen die „Formel", die alsbald von Gotama Bud-
dha berichtet wird: „lasset eure Sünden sehen vor den Leuten und verberget
 
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