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Schmidt, Jochen; Kaufmann, Sebastian; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 3,1): Kommentar zu Nietzsches "Morgenröthe" — Berlin, Boston: de Gruyter, 2015

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https://doi.org/10.11588/diglit.70911#0530
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Stellenkommentar Die kleine Brigg, KSA 3, S. 336-337 515

ironisiert so zugleich das tragische Geschehen). Das „bitterböse Wörtchen" ver-
weist auf N.s These, dass „unten im Grunde [...] auch das beste Weib schlecht"
sei (NL 1882, 5[1] 118, KSA 10, 200, 17 f.), wie es in einem auf den Zarathustra
vorausweisenden Notat aus dem Entstehungsjahr der Idyllen heißt. In einer
anderen nachgelassenen Aufzeichnung aus derselben Zeit schreibt N.: „Im Ver-
neinen, Zerstören, Hassen, Sich-Rächen ist das Weib barbarischer als der
Mann." (NL 1882, 3[1]17, KSA 10, 55, 22 f.) Vgl. noch EH Warum ich so gute
Bücher schreibe 5: „Das Weib ist unsäglich viel böser als der Mann" (KSA 6,
306, 7 f.).
Der substantivierte Superlativ „Geliebtester", dessen weibliche Variante
auf Italienisch: „amorosissima" (wenngleich mit anderer Konnotation) im 6.
Gedicht vorkommt, könnte andeuten, dass das „Engelchen" auch noch weitere
Geliebte hatte, und somit bereits das Untreue-Thema anschlagen, das dann im
folgenden Gedicht in den Vordergrund rückt.
337, 7-9 Kaum gehört, sprang ich vom Klippchen / In den Grund und brach ein
Rippchen, I Dass die liebe Seele wich] An dieser Stelle erreicht die ironisch-
distanzierte Darstellung des tragischen Geschehens ihren Höhepunkt. Die ver-
niedlichende Sprechweise hat einen eindeutig komisierenden Effekt. Parodiert
wird auf diese Weise das traditionsreiche Motiv des Liebestods, dessen vielfäl-
tige Gestaltungen von der Antike bis in seine eigene Zeit - man denke nur an
Isoldes Liebestod in Wagners Tristan und Isolde (1865) - N. vertraut waren.
Dass sich das „Engelchen" vom „Klippchen" stürzt, erinnert an den unter an-
derem von Vergil und Ovid geschilderten Liebestod der mythologischen Aphro-
ditepriesterin Hero, die sich von Klippen in den Hellespont stürzte, nachdem
ihr Geliebter Leander in den Fluten ertrunken war, die er nächtlich durch-
schwimmen musste, um zu ihr zu gelangen. Aber auch an Wagners Fliegenden
Holländer (1843) wäre zu denken, wo sich Senta am Ende ebenfalls von einem
Felsen ins Meer stürzt, nachdem der Holländer an ihrer Treue zweifelt und sie
verlässt. Während Senta diesen jedoch durch ihre ,Treue bis in den Tod' von
seinem Fluch erlöst, kommt ein solcher Erlösungsgedanke in N.s Gedicht nicht
vor. Insofern handelt es sich allenfalls um eine parodistische Anspielung auf
den Fliegenden Holländer.
337, 12-14 Meine Seele, wie ein Kätzchen, I [...] Schwang dann in dies Schiffchen
sich -] Im Hintergrund steht der Gedanke der Seelenwanderung oder Wieder-
geburt (Metempsychose, Palingenesie). Innerhalb der abendländischen Tradi-
tion gehören Platon und Schopenhauer zu den prominentesten und für N.
wichtigsten Autoren, bei denen dieser Gedanke ausgesprochen wird. Im Werk
Platons ist der Wiedergeburts-Gedanke mit dem erkenntnistheoretischen Kon-
 
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