Metadaten

Schmidt, Jochen; Kaufmann, Sebastian; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 3,1): Kommentar zu Nietzsches "Morgenröthe" — Berlin, Boston: de Gruyter, 2015

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.70911#0534
Lizenz: In Copyright
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Stellenkommentar Lied des Ziegenhirten, KSA 3, S. 337-338 519

gen: „Woher am krausen Haare Kopfe / Der seidne Streifen! / Will ihr's zum
neuen Jahr". Dass N. diese Verse für die Druckfassung strich, mag auch damit
zusammenhängen, dass das hier zur Sprache kommende Eifersuchtsmotiv -
die Geliebte nimmt offenbar von anderen Verehrern Liebes-Gaben an - für
Strophe 4 vorbehalten bleiben sollte.
338, 3 Ich warte wie ein Hund -] Der Vergleich zielt auf den unwürdigen Zu-
stand des von seiner Geliebten versetzten, umsonst wartenden Ziegenhirten.
In Menschliches, Allzumenschliches II lässt N. im Schlussdialog des Abschnitts
Der Wanderer und sein Schatten vom Part des „Wanderers" den Hund als Inbe-
griff der Selbsterniedrigung wie folgt charakterisieren: „ich will keine Sclaven
um mich wissen. Desshalb mag ich auch den Hund nicht, den faulen, schweif-
wedelnden Schmarotzer, der erst als Knecht der Menschen ,hündisch' gewor-
den ist und von dem sie gar noch zu rühmen pflegen, dass er dem Herrn treu
sei" (MA II WS [Schlussdialog], KSA 2, 704, 8-12).
338, 5 Das Kreuz, als sie's versprach!] Die elliptische Exclamatio verweist auf
das Kreuzzeichen, welches das Versprechen der Geliebten beglaubigen sollte,
sich in der Nacht bei dem Ziegenhirten einzufinden. Diese Nennung des christ-
lichen Symbols kontrastiert nicht nur mit der vom Gedicht evozierten antiken
Sphäre der theokritischen Idylle, sondern auch überhaupt mit der Rahmensitu-
ation einer Verabredung zur heimlichen Liebesnacht. Dass die Geliebte dann
aber doch nicht erscheint, weil sie sich, wie das Rollen-Ich vermutet, mit ande-
ren Männern vergnügt, führt das Kreuzzeichen auf doppelte Weise ad absur-
dum: zum einen dadurch, dass sie den hierauf geleisteten Schwur bricht, zum
anderen dadurch, wie sie dies tut. Mit diesem Bezug auf das „Kreuz" klingt
unterschwellig N.s Kritik am Christentum und an der Kirche an, wie sie auch
im folgenden Gedicht Die kleine Hexe durchscheint.
338, 7 f. Oder läuft sie Jedem nach, / Wie meine Ziegen?] Vgl. auch die Selbst-
charakterisierung des ,Mädchen-Schiffs' in Strophe 3 von Die kleine Brigg, ge-
nannt „das Engelchen": „Ueberall hin, wo ein Flämmchen / Für mich glüht,
lauf ich ein Lämmchen" (336, 18 f.) und den Stellenkommentar hierzu. Darüber
hinaus ergibt sich aber auch eine Parallele zur Aussage des - männlichen -
Dichter-Ichs im Eingangsgedicht Prinz Vogelfrei: „Jetzt flieg ich jedem Vogel
nach." (335, 11)
338, llf. Es wohnt noch mancher Bock / An diesem Holze?] Anspielung auf
das Wort ,Holzbock'. In Grimms Deutschem Wörterbuch wird unter dem Lemma
„holzbock" als erste Bedeutung aufgeführt: „wilder bock, waldbock". Unter an-
derem verzeichnet das Deutsche Wörterbuch aber noch eine weitere, hier eben-
falls gemeinte Bedeutung: die als ,Gemeiner Holzbock' bezeichnete Zeckenart
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften