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Schmidt, Jochen; Kaufmann, Sebastian; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 3,1): Kommentar zu Nietzsches "Morgenröthe" — Berlin, Boston: de Gruyter, 2015

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https://doi.org/10.11588/diglit.70911#0541
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526 Idyllen aus Messina

dings auch im vorliegenden Text und korrespondiert dessen Gehalt. Die von
N. leicht abgewandelte Strophenform geht auf Kreuzeshymnen des Fortunatus
aus dem 6. Jahrhundert zurück und wurde in dieser Tradition noch im 18. und
19. Jahrhundert verwendet (z. B. von Voß und Mörike). Auch in der Romantik
findet sie sich, so etwa in Eichendorffs melancholisch-düsterem Gedicht Zwei-
fel.
340, 8 f. Gab mir Ruhe nicht das Kissen, / Noch der Mohn] Die lyrische Themati-
sierung der Schlaflosigkeit hat einen biographischen Hintergrund. Bereits seit
1871 klagte N. immer wieder über Schlaflosigkeit, die zu seinen Krankheits-
symptomen gehörte. Im Brief an Franz Overbeck vom 20. Januar 1883 be-
schreibt er rückblickend das „Schluß-Ergebniß dieses bösen Jahres" als einen
andauernden Zustand „wie bei einer Phosphorvergiftung: ewiges Erbrechen,
Kopfschmerz, Schlaflosigkeit usw." (KSB 6/KGB ΙΙΙ/1, Nr. 369, S. 319, Z. 24-30)
Auch der metonymisch poetisierende Hinweis auf den „Mohn" ist in diesem
biographischen Zusammenhang zu sehen: N. selbst konsumierte - ungeachtet
seiner vielfach geäußerten Kritik am Gebrauch von Narkotika - wiederholt
Morphium bzw. Opium, um Schlaf zu finden oder um sich zu berauschen (vgl.
hierzu Volz 1990, 168-170). In einem Briefentwurf an Paul Ree und Lou von
Salome schreibt N. um den 20. Dezember 1882: „An jedem Morgen verzweifle
ich, wie ich den Tag überdaure. Ich schlafe nicht mehr: was hilft es 8 Stunden
zu marschiren! [...] Heute Abend werde ich so viel Opium nehmen, daß ich die
Vernunft verliere" - und weiter heißt es dann im selben Schreiben (offenbar
nach der Drogeneinnahme): „Was gehn Euch ich meine Sie und Lou, meine
Phantastereien an! Erwägen Sie Beide doch sehr miteinander, daß ich zuletzt
ein kopfleidender Halb-Irrenhäusler bin, den die Einsamkeit vollends verwirrt
hat. - Zu dieser, wie ich meine verständigen Einsicht in die Lage der Dinge
komme ich, nachdem ich eine ungeheure Dosis Opium aus Verzweiflung
eingenommen habe. Statt aber den Verstand dadurch zu verlieren, scheint er
mir endlich zu kommen. [...] in opio veritas" (KSB 6/KGB III/1, Nr. 360,
S. 307, Z. 6-37). Ähnlich wie in dieser brieflichen Darstellung führt auch im
Gedicht der Gebrauch von „Mohn" nicht (direkt) zum Schlaf, sondern (zu-
nächst) zu einem Rauschzustand, der allerdings keineswegs euphorisch als Er-
kenntnis der ,Wahrheit' erlebt wird, vielmehr als ein umnebelter Blick in den
„Abgrund" (340, 21).
340, 9 f. [...] was sonst tief I Schlafen macht - ein gut Gewissen.] Zitathafte
Anspielung auf das Sprichwort „Ein gut Gewissen, ein sanftes Ruhekissen."
(vgl. Wander 1867, 1, 1669) Die lyrische Rede vom fehlenden guten Gewissen
hat im Kontext von N.s ,freigeistiger' Philosophie einen ironischen Sinn: Im
Zuge seiner Moral- und Religionskritik, die mit seiner ,mittleren' Schaffensperi-
 
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