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Schmidt, Jochen; Kaufmann, Sebastian; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 3,1): Kommentar zu Nietzsches "Morgenröthe" — Berlin, Boston: de Gruyter, 2015

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https://doi.org/10.11588/diglit.70911#0551
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536 Idyllen aus Messina

gen. Über den zweiten Vers des Gedichts schreibt Gottfried Benn am 22. Sep-
tember 1954 an seine Geliebte Ursula Ziebarth: „Von Herrn Lichtenford [...] Ab-
schrift von dem Gedicht ,Albatros' [sic!], tatsächlich von Nietzsche. Bitte sage
ihm von mir, dass ich den 2. Vers kannte, selbst in meinen Büchern zitiert
habe, diesen wunderbaren Vers, dass ich aber nicht wusste, dass das ganze
,Albatros' heißt." (Benn 2001, 82 f.)
341, 22 Was hebt und trägt ihn doch?] Diese Frage, die in der zweiten Strophe
sogleich vom lyrischen Ich selbst beantwortet wird, zeigt, dass es sich nicht -
oder nur im übertragenen Sinn - um ein „Wunder" handelt, sondern dass es
„doch" etwas gibt, was den Albatros in seinem Gleitflug „hebt und trägt", näm-
lich die Luftströmung.
341, 23 Was ist ihm Ziel und Zug und Zügel nun?] Rhetorische Frage, die auf
das (vermeintlich) völlige Fehlen von „Ziel und Zug und Zügel" verweist. Ins-
besondere die Ziellosigkeit ist eine Lieblingsvorstellung N.s, die zu seinen Ent-
grenzungs- und Unendlichkeitsphantasien gehört; entsprechend wurde sie
auch bereits (im Rekurs auf die letzte Nummer der Morgenröthe: „Wir Luft-
Schifffahrer des Geistes") im Eingangsgedicht Prinz Vogelfrei gestaltet,
wo es in der zweiten Strophe heißt: „Vergessen hab' ich Ziel und Hafen" (335,
9). Im Zusammenhang mit dieser Vorstellung eines ziellosen Entschwebens in
unendliche Weiten steht auch die ,Zügellosigkeit', die eine Loslösung aus allen
Bindungen und Konventionen meint. Der „Vogel Albatross" wird so zum Sinn-
bild für N.s Ideal des „freien Geistes". N. greift die Wendung „Ziel und Zug und
Zügel" später variierend im ersten Dionysos-Dithyrambus Nur Narr! Nur Dich-
ter! wieder auf: Dort ist von dem „gezückten Zugs" hinabstürzenden Adler die
Rede (KSA 6, 379, 10; vgl. NK hierzu).
341, 24-26 Er flog zu höchst - nun hebt / Der Himmel selbst den siegreich Flie-
genden: / Nun ruht er still und schwebt] Antwort auf die zuvor gestellte Frage
„Was hebt und trägt ihn doch?" (341, 22) Wiederum ergibt sich ein Entspre-
chungsverhältnis zum Eingangsgedicht, hier zu dessen dritter Strophe: „Ich
lass mich von den Winden heben, / Ich liebe es, mit Flügeln schweben" (335,
14 f.). Auffällig ist indes, dass N. nun nicht mehr von „Winden" spricht, son-
dern allgemein vom „Himmel". Vielleicht hat er später, in der 1887 erschiene-
nen neuen Fassung die zweite Strophe nicht zuletzt wegen der christlich-meta-
physischen Assoziationen weggelassen, die der Ausdruck „Himmel" aufruft.
341, 27 Den Sieg vergessend und den Siegenden.] Der ruhig schwebende Alba-
tros, den das lyrische Ich kurz zuvor als den „siegreich Fliegenden" (341, 25)
charakterisiert hat, ist mithin selbst der „Siegende" von dem hier die Rede ist;
der „Sieg" meint denjenigen über die ,Schwere', die zu Boden zieht und mit
 
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