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Kaufmann, Sebastian; Nietzsche, Friedrich; Walter de Gruyter GmbH & Co. KG [Contr.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 3,2, 1. Teilband): Kommentar zu Nietzsches "Die fröhliche Wissenschaft" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2022

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https://doi.org/10.11588/diglit.73066#0044
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Überblickskommentar 21

1863 erschienen war und im Rahmen der deutschen Gesamtausgabe in Band 1
von John Stuart Mill's gesammelten Werken (1869-1880) als Das Nützlichkeits-
princip veröffentlicht wurde.
Die in vielen Abschnitten von FW stattfindende kritische Reflexion auf
Religion, Moral und Metaphysik ist getragen von einer antiidealistischen Orien-
tierung an der ,Realität', auch wenn ihr bemerkenswerterweise immer wieder
Bekenntnisse zum schönen Schein bzw. zur unvermeidlichen (ästhetischen)
Überformung einer nie ,an sich' gegebenen Wirklichkeit als Gegengewichte an
die Seite gestellt werden. Mit der Reflexion auf die ,Wirklichkeit' und ihr Ver-
hältnis zur Kunst, zum Ästhetischen, wie sie sich in mehreren Abschnitten von
FW aspektreich vollzieht (vgl. z. B. FW 57, FW 109 u. FW 299), steht N. ebenfalls
in einer breiten zeitgenössischen Strömung: Man denke an die epochenprägen-
de Literatur des - in Gestalt Adalbert Stifters oder Gottfried Kellers von N. aus-
drücklich gewürdigten (vgl. MA II WS 109) - Realismus, der schließlich seit etwa
1880 durch den noch deutlich radikaler an der (sozialen) Wirklichkeit ausgerich-
teten Naturalismus abgelöst wurde. Auf dem Gebiet der Wissenschaft und Philo-
sophie herrschten zur selben Zeit Materialismus und Positivismus vor. N. parti-
zipierte an diesen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts dominanten
Wirklichkeitsdiskursen; bereits 1866 erwähnt er die später von ihm erworbene
und mit mehreren Lesespuren versehene Geschichte des Materialismus, die er
gegenüber seinem Freund Carl von Gersdorff als „in ihrer Art vortrefflich und
sehr belehrend" lobt (Ende August 1866, KSB 2/KGB I 2, Nr. 517, S. 159, Z. 27).
Seit Lou von Salomes Werkbiographie von 1894 bürgerte sich sogar ein
Werkphasenschema ein, dem zufolge FW - zusammen mit MA und M - zu
einer ,positivistischen Periode' N.s gehören sollte (vgl. ÜK 6). Doch obwohl in
M 542 beispielsweise der führende Positivist Auguste Comte (1798-1857), des-
sen 1880 erschienene Einleitung in die positive Philosophie N. besaß, als „gros-
se[r] rechtschaffene[r] Franzose[]" gepriesen wird, als ein „Umschlinger und
Bändiger der strengen Wissenschaften" (KSA 3, 311, 7-9), ist die Formel von
N.s ,positivistischer Phase' angesichts der Vieldeutigkeit seiner Texte und zu-
mal der ästhetischen Dimensionen von FW (vgl. ÜK 3) irreführend und in der
modernen Forschung denn auch kaum mehr gebräuchlich. So wird zwar im
vielbeachteten Schlussabschnitt von FW II „die Einsicht in die allgemeine Un-
wahrheit und Verlogenheit" hervorgehoben, „die uns jetzt durch die Wissen-
schaft gegeben wird", doch darauf folgt kein uneingeschränktes Bekenntnis zu
dieser antimetaphysischen „Wissenschaft" und ihrem ,Willen zur Wahrheit',
sondern vielmehr ein Plädoyer für den zeitweiligen Schein- und Kunstgenuss
als „Gegenmacht" (FW 107, 464, 11-13), um jene Desillusionierung auszuhalten.
Zur zeitgenössischen „Wissenschaft" gehören jedenfalls auch mehrere ein-
schlägige erkenntnistheoretische und naturphilosophische Neuerscheinun-
 
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