Überblickskommentar 43
mehr kommt ihm auch dadurch ein gewisser Sonderstatus zu, dass die Selbst-
reflexion des - oder vielmehr: der - sprechenden Ichs hier ein noch größeres
Gewicht erhält. Zwar gibt es auch schon in FW I-III verschiedene Texte, in
denen jeweils ein Ich oder Wir über sich selbst spricht, doch nimmt die Reflexi-
on der eigenen Existenz und Befindlichkeit der sprechenden Instanz(en) gera-
de zu Beginn des Vierten Buchs über mehrere Abschnitte hinweg einen Raum
ein, der ihr in dieser Nachdrücklichkeit bislang nicht zukam. Das scheint mit
den weiter unten (vgl. ÜK 5) im Einzelnen zitierten Aussagen N.s kurz nach
Abschluss der Drucklegung von FW übereinzustimmen, denen zufolge dieses
Werk und insbesondere das Vierte Buch sein „persönlichstes" sei, in dem er
,sich selbst erklärt' habe.
Doch obwohl mehrere Abschnitte einen unmittelbaren autobiographischen
Bezug nahelegen, etwa auf den Neujahrstag 1882 (FW 276), auf N.s damaligen
Aufenthalt in Genua (FW 281, FW 291) oder seine frühere Freundschaft mit
Richard Wagner (FW 279), sollte man sich auch im konkreten Fall von FW IV
hüten, die Ich- oder Wir-sagende(n) Sprechinstanz(en) mit N. selbst kurzzu-
schließen. Denn das Vierte Buch wartet wie schon die vorangehenden drei Bü-
cher mit einer Vielzahl verschiedener Thesen und Positionen auf, die schwer-
lich auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen sind. Man mag zwar einen
Grundzug dieses Buchs im Jasagen' zum Leben sehen (vgl. Wotling 2015), wie
es gleich im Eröffnungsabschnitt von FW IV - zum ersten Mal in N.s Werk -
in der Formel „Amor fati" (521, 22) zum Ausdruck kommt. Doch wenn etliche
Abschnitte des Vierten Buchs ,persönliche' Lebensliebe, Schicksalsbejahung
und Glücksempfinden zum Gegenstand haben (FW 277, FW 278, FW 301,
FW 303, FW 323, FW 324, FW 341), dann wird nicht nur häufig der bloße Vor-
satz-, Zukunfts- oder Möglichkeitscharakter dieser affektiven Zustände kennt-
lich, sondern zugleich ihre Verschränkung mit Gefahr (FW 283, FW 302,
FW 315), Entsagung (FW 285, FW 306), Krankheit (FW 295), Einsamkeit (FW
309), Schmerz (FW 312, FW 316, FW 318, FW 325, FW 326) und Selbstzweifel
(FW 332). Auch das prominente Gedankenexperiment zur ,ewigen Wiederkehr
des Gleichen', das im vorletzten Abschnitt durchgeführt wird, erwägt deren
enthusiastische Bejahung im Zustand eines damit verbundenen Hochgefühls
lediglich im konjunktivischen Modus einer Hypothese: Das angesprochene fik-
tive Du könnte auch ganz anders auf diesen Gedanken reagieren, sich „zer-
malm[t]" fühlen (570, 25) „und mit den Zähnen knirschen" (570, 20). Dass da-
rauf folgend der letzte Abschnitt des Buchs (FW 342) unter der Überschrift
„Incipit tragoedia" steht, passt ebenfalls zu den vielfältigen Brechungen
der Glücksgefühle in FW IV, obzwar in dem Text, mit dem die Erstausgabe
insgesamt endete und dessen Wortlaut nahezu identisch mit dem Beginn von
Za I ist, Zarathustra von seinem „allzugrosse[n] Glück" (571, 24) spricht, das er
den Menschen mitteilen will.
mehr kommt ihm auch dadurch ein gewisser Sonderstatus zu, dass die Selbst-
reflexion des - oder vielmehr: der - sprechenden Ichs hier ein noch größeres
Gewicht erhält. Zwar gibt es auch schon in FW I-III verschiedene Texte, in
denen jeweils ein Ich oder Wir über sich selbst spricht, doch nimmt die Reflexi-
on der eigenen Existenz und Befindlichkeit der sprechenden Instanz(en) gera-
de zu Beginn des Vierten Buchs über mehrere Abschnitte hinweg einen Raum
ein, der ihr in dieser Nachdrücklichkeit bislang nicht zukam. Das scheint mit
den weiter unten (vgl. ÜK 5) im Einzelnen zitierten Aussagen N.s kurz nach
Abschluss der Drucklegung von FW übereinzustimmen, denen zufolge dieses
Werk und insbesondere das Vierte Buch sein „persönlichstes" sei, in dem er
,sich selbst erklärt' habe.
Doch obwohl mehrere Abschnitte einen unmittelbaren autobiographischen
Bezug nahelegen, etwa auf den Neujahrstag 1882 (FW 276), auf N.s damaligen
Aufenthalt in Genua (FW 281, FW 291) oder seine frühere Freundschaft mit
Richard Wagner (FW 279), sollte man sich auch im konkreten Fall von FW IV
hüten, die Ich- oder Wir-sagende(n) Sprechinstanz(en) mit N. selbst kurzzu-
schließen. Denn das Vierte Buch wartet wie schon die vorangehenden drei Bü-
cher mit einer Vielzahl verschiedener Thesen und Positionen auf, die schwer-
lich auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen sind. Man mag zwar einen
Grundzug dieses Buchs im Jasagen' zum Leben sehen (vgl. Wotling 2015), wie
es gleich im Eröffnungsabschnitt von FW IV - zum ersten Mal in N.s Werk -
in der Formel „Amor fati" (521, 22) zum Ausdruck kommt. Doch wenn etliche
Abschnitte des Vierten Buchs ,persönliche' Lebensliebe, Schicksalsbejahung
und Glücksempfinden zum Gegenstand haben (FW 277, FW 278, FW 301,
FW 303, FW 323, FW 324, FW 341), dann wird nicht nur häufig der bloße Vor-
satz-, Zukunfts- oder Möglichkeitscharakter dieser affektiven Zustände kennt-
lich, sondern zugleich ihre Verschränkung mit Gefahr (FW 283, FW 302,
FW 315), Entsagung (FW 285, FW 306), Krankheit (FW 295), Einsamkeit (FW
309), Schmerz (FW 312, FW 316, FW 318, FW 325, FW 326) und Selbstzweifel
(FW 332). Auch das prominente Gedankenexperiment zur ,ewigen Wiederkehr
des Gleichen', das im vorletzten Abschnitt durchgeführt wird, erwägt deren
enthusiastische Bejahung im Zustand eines damit verbundenen Hochgefühls
lediglich im konjunktivischen Modus einer Hypothese: Das angesprochene fik-
tive Du könnte auch ganz anders auf diesen Gedanken reagieren, sich „zer-
malm[t]" fühlen (570, 25) „und mit den Zähnen knirschen" (570, 20). Dass da-
rauf folgend der letzte Abschnitt des Buchs (FW 342) unter der Überschrift
„Incipit tragoedia" steht, passt ebenfalls zu den vielfältigen Brechungen
der Glücksgefühle in FW IV, obzwar in dem Text, mit dem die Erstausgabe
insgesamt endete und dessen Wortlaut nahezu identisch mit dem Beginn von
Za I ist, Zarathustra von seinem „allzugrosse[n] Glück" (571, 24) spricht, das er
den Menschen mitteilen will.