Überblickskommentar 57
sonnt und dem Lichte nicht mehr ausweicht. Heil Dir, dass Du so siegreich
Deine Bahn fortwandeln konntest. Wenn es einem nicht möglich ist, nach Dei-
ner Philosophie und Deinen Schriften zu leben, so will ich wenigstens gar ger-
ne mit ihnen leben. Das giebt guten Ozongehalt in das Quantum Luft, welches
unser einer mit anderen Philistern theilen muss, und bewahrt vor der Philiste-
rei. Für Frauen ist diese Kost nicht zubereitet, aber die meinige sah hinein und
schien sich angezogen zu fühlen." (KGB III 2, Nr. 142, S. 285, Z. 9-20)
Angezogen fühlte sich laut ihrem Schreiben an N. vom 12. September 1882
auch die Leserin Marie Baumgärtner, allerdings nicht trotz, sondern gerade
wegen der Anlage des Buchs, das in ihren Augen nicht nur gesünder, lebens-
und kunst-, sondern überdies frauenfreundlicher war als N.s bisherige Werke:
„Ich danke Ihnen von ganzem Herzen für dieses schöne Geschenk, und kann
Ihnen heute blos sagen daß ich das Gefühl habe, als hätten Sie noch nie so
klar, so fest und ruhig geschrieben. [...] So wenig krank, so wenig bitter und
scharf, haben Sie noch nie sich ausgesprochen! Gegen das Leben überhaupt,
gegen die Dichter und Frauen, (ich glaube fast auch gegen liebende Men-
schen) sind Sie gnädiger und gerechter als früher; und Sie beginnen das Buch
sogar mit Versen! und schließen dasselbe mit Einer Seite die schöner und
poetischer ist als ganze Bände von Gedichte [sic]!" (KGB III 2, Nr. 143, S. 286,
Z. 5-8 u. 16-22)
Desgleichen hebt N.s ehemaliger Basler Kollege Jacob Burckhardt mit ei-
niger Verwunderung auf das poetische „Vorspiel" mit dem Goethe entlehnten
Titel ab und zeigt sich besonders vom Vierten Buch beeindruckt, das er auf
N.s Aufenthalt in Genua im Januar 1882 bezieht: „Vor drei Tagen langte Ihre
,fröhliche Wissenschaft' bei mir an und Sie können denken in welches neue
Erstaunen das Buch mich versetzt hat. Zunächst der ungewohnte heitere Gö-
the'sche Lautenklang in Reimen, dessen Gleichen man gar nicht von Ihnen
erwartete - und dann das ganze Buch und am Ende der Sanctus Januarius!
Täusche ich mich oder ist dieser letzte Abschnitt ein specielles Denkmal das
Sie einem der letzten Winter im Süden gesetzt haben? es hat eben sehr Einen
Zug." (13. 09. 1882, KGB III 2, Nr. 144, S. 288, Z. 3-10) Und nachdem Burck-
hardt einen Versuch unternimmt, dem Wanderphilosophen N. wieder das bür-
gerliche Leben als Professor schmackhaft zu machen, indem er ihm ausge-
hend von seinen Lektüreeindrücken das Dozieren von Geschichte empfiehlt
(vgl. hierzu auch ΝΚ FW 34), gesteht er zwar, das Meiste nicht verstanden zu
haben, hält es aber doch für wissenschaftlich inspirierend: „Im Übrigen geht
gar Vieles (und ich fürchte, das Vorzüglichste) was Sie schreiben, über mei-
nen alten Kopf weit hinaus; - wo ich aber mitkommen kann, habe ich das
erfrischende Gefühl der Bewunderung dieses ungeheuern, gleichsam compri-
mirten Reichthums und mache mir es klar, wie gut man es in unserer Wissen-
sonnt und dem Lichte nicht mehr ausweicht. Heil Dir, dass Du so siegreich
Deine Bahn fortwandeln konntest. Wenn es einem nicht möglich ist, nach Dei-
ner Philosophie und Deinen Schriften zu leben, so will ich wenigstens gar ger-
ne mit ihnen leben. Das giebt guten Ozongehalt in das Quantum Luft, welches
unser einer mit anderen Philistern theilen muss, und bewahrt vor der Philiste-
rei. Für Frauen ist diese Kost nicht zubereitet, aber die meinige sah hinein und
schien sich angezogen zu fühlen." (KGB III 2, Nr. 142, S. 285, Z. 9-20)
Angezogen fühlte sich laut ihrem Schreiben an N. vom 12. September 1882
auch die Leserin Marie Baumgärtner, allerdings nicht trotz, sondern gerade
wegen der Anlage des Buchs, das in ihren Augen nicht nur gesünder, lebens-
und kunst-, sondern überdies frauenfreundlicher war als N.s bisherige Werke:
„Ich danke Ihnen von ganzem Herzen für dieses schöne Geschenk, und kann
Ihnen heute blos sagen daß ich das Gefühl habe, als hätten Sie noch nie so
klar, so fest und ruhig geschrieben. [...] So wenig krank, so wenig bitter und
scharf, haben Sie noch nie sich ausgesprochen! Gegen das Leben überhaupt,
gegen die Dichter und Frauen, (ich glaube fast auch gegen liebende Men-
schen) sind Sie gnädiger und gerechter als früher; und Sie beginnen das Buch
sogar mit Versen! und schließen dasselbe mit Einer Seite die schöner und
poetischer ist als ganze Bände von Gedichte [sic]!" (KGB III 2, Nr. 143, S. 286,
Z. 5-8 u. 16-22)
Desgleichen hebt N.s ehemaliger Basler Kollege Jacob Burckhardt mit ei-
niger Verwunderung auf das poetische „Vorspiel" mit dem Goethe entlehnten
Titel ab und zeigt sich besonders vom Vierten Buch beeindruckt, das er auf
N.s Aufenthalt in Genua im Januar 1882 bezieht: „Vor drei Tagen langte Ihre
,fröhliche Wissenschaft' bei mir an und Sie können denken in welches neue
Erstaunen das Buch mich versetzt hat. Zunächst der ungewohnte heitere Gö-
the'sche Lautenklang in Reimen, dessen Gleichen man gar nicht von Ihnen
erwartete - und dann das ganze Buch und am Ende der Sanctus Januarius!
Täusche ich mich oder ist dieser letzte Abschnitt ein specielles Denkmal das
Sie einem der letzten Winter im Süden gesetzt haben? es hat eben sehr Einen
Zug." (13. 09. 1882, KGB III 2, Nr. 144, S. 288, Z. 3-10) Und nachdem Burck-
hardt einen Versuch unternimmt, dem Wanderphilosophen N. wieder das bür-
gerliche Leben als Professor schmackhaft zu machen, indem er ihm ausge-
hend von seinen Lektüreeindrücken das Dozieren von Geschichte empfiehlt
(vgl. hierzu auch ΝΚ FW 34), gesteht er zwar, das Meiste nicht verstanden zu
haben, hält es aber doch für wissenschaftlich inspirierend: „Im Übrigen geht
gar Vieles (und ich fürchte, das Vorzüglichste) was Sie schreiben, über mei-
nen alten Kopf weit hinaus; - wo ich aber mitkommen kann, habe ich das
erfrischende Gefühl der Bewunderung dieses ungeheuern, gleichsam compri-
mirten Reichthums und mache mir es klar, wie gut man es in unserer Wissen-