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Kaufmann, Sebastian; Nietzsche, Friedrich; Walter de Gruyter GmbH & Co. KG [Mitarb.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 3,2, 1. Teilband): Kommentar zu Nietzsches "Die fröhliche Wissenschaft" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2022

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https://doi.org/10.11588/diglit.73066#0083
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60 Die fröhliche Wissenschaft

er es als seine Aufgabe, der Philosophie der Aufklärung, die mit dem Ende des
vorigen Jahrhunderts eine vollständige Unterbrechung ihrer gesunden Fortent-
wicklung erlitten hat, neues Leben und neue Wirksamkeit zu verleihen" (Ano-
nym 1882, 688 = Wagner in Reich 2013, 579). FW erscheint dem Rezensenten
also nicht nur als Rückwendung zur Kunst, sondern auch als progressive Philo-
sophie in der Tradition der französischen Aufklärung, wobei Wagner insbeson-
dere das Konzept des ,freien Geistes' betont, der als kritisch-autonomer Geist
„keine Autorität als bindend" anerkenne (Anonym 1882, 687 = Wagner in Reich
2013, 578). Auch diese Fokussierung des ,freigeistigen' Denkens als Merkmal
von FW setzt sich in der Rezeptionsgeschichte bis zur Gegenwart fort.
Vor dem Hintergrund von N.s brieflicher Äußerung am 3. Juli 1882 gegen-
über Lou von Salome, FW sei als Abschluss seiner „ganze[n] ,Freigeisterei'"
und damit als „ein Sieg" auf ganzer Linie zu verstehen (KSB 6/KGB III 1,
Nr. 256, S. 217, Z. 10 u. 18 f.), hat Salome später in ihrem Buch Friedrich Nietz-
sche in seinen Werken (1894) mit einer nachhaltigen Periodisierungsformel von
FW als dem „letzten derjenigen Werke" gesprochen, die, beginnend mit MA,
„auf positivistischer Grundlage ruhen" (Andreas-Salome 1894, 10). Diese posi-
tivistische Phase stehe zwischen N.s früher, an Schopenhauer und Wagner ori-
entierter ,metaphysisch-pessimistischen' Phase und seiner späten, im Gedan-
ken der ewigen Wiederkehr zentrierten ,mystisch-optimistischen' Phase:
„Diese Korrektur vom Pessimistischen ins Optimistische ist der eigentliche Un-
terschied zwischen Nietzsches ursprünglichem und späterem Denken und
stellt in der Entwickelung dieses einsamen Leidenden einen heldenmüthigen
Sieg der Selbstüberwindung dar. Philosophisch aber ist sie durch die dazwi-
schen liegende positivistische Geistesperiode Nietzsches vorbereitet worden, in
der dieser das Dasein allerdings erst recht pessimistisch betrachten, zugleich
aber sich auf die Lebenswirklichkeit beschränken und allen metaphysischen
Nebendeutungen derselben entsagen lernte." (Ebd., 229) Damit greift Andreas-
Salome auf spezifische Weise N.s briefliche Rede ihr gegenüber von seinen
früheren „Qualen aller Art" auf, aus denen er sich mit FW endgültig herausge-
arbeitet habe (03.07. 1882, KSB 6/KGB III 1, Nr. 256, S. 217, Z. 11); in ihrer Lesart
hat N. jene denkerischen „Qualen" vielmehr gezielt eingesetzt, um durch sie
zur ,Wiederkunfts-Mystik' zu gelangen: „So kann man sagen, dass Nietzsche,
anstatt sich vom Pessimismus seiner ,Freigeisterei' abzuwenden und zur tröst-
licheren Metaphysik zurückzukehren, diesen Pessimismus bis auf das Aeus-
serste steigert, - dass er es aber nur thut, um den äussersten Ueberdruss und
Lebensschmerz als ein Sprungbrett zu benutzen, von dem er sich in die
Tiefen seiner Mystik hinabstürzen will." (Andreas-Salome 1894, 228)
Es liegt im Zusammenhang von Andreas-Salomes Einschätzung der ,Wie-
derkunftslehre' als ,mystische' „Krönung" von N.s gesamtem „Gedankenge-
 
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