Überblickskommentar 63
kann, und darum giebt er seinen nächsten Schriften den Titel ,Morgenröte' und
,Die fröhliche Wissenschaft'. Die positivistische Aufklärungsperiode erscheint
ihm nun selbst als ,Dunkelzeit', er kehrt sich von ihr ab der Sonne zu [...]. /
Und dabei half ihm der Positivismus wieder, den Positivismus zu überwinden."
(Ebd., 111)
In diesen wenig präzisen Sätzen erschöpfen sich Zieglers Äußerungen zu
FW als Übergangswerk, das quasi teleologisch auf Za zulaufe, aber noch
nicht. Vielmehr bezweifelt er autorpsychologisch vor dem lebens- bzw. leidens-
geschichtlichen Entstehungshintergrund (und in unterschwelligem Bezug auf
FW Vorrede) die Authentizität der „Fröhlichkeit" von FW und bescheinigt dem
Werk stattdessen insgesamt einen „tragischen Eindruck": „In Schmerzen ist
die fröhliche Wissenschaft empfangen und geboren worden. Und daher ist es
kein Wunder, daß diese den Schmerzen abgerungene Fröhlichkeit eine er-
zwungene und unheimliche ist. [...] Den Wert des Leidens hat Nietzsche ver-
standen wie wenige und deshalb auch das Leiden nie missen mögen; darum
ist keine wirkliche Fröhlichkeit in ihm, sondern nur die große Sehnsucht nach
etwas, das er nicht hat, die Sehnsucht des Leidenden und Kranken nach der
Gesundheit, die ihm fehlt." (Ebd., 118) Da N. noch dazu - was angezweifelt
werden darf - „gänzlich humorlos" sei, kippe die aufgesetzte, herbeige-
wünschte Fröhlichkeit schließlich in Tragik um: „Und daher macht gerade ,die
fröhliche Wissenschaft' einen so tragischen Eindruck, unter Schmerzen ist sie
entstanden, ausdrücklich hebt an ihrem Ende [gemeint ist die Erstausgabe von
1882, die mit FW 342 schloss] die Tragödie an. Incipit tragoedia - und damit
endigt die zweite Periode und beginnt die Zeit Zarathustras", für Ziegler „frag-
los die wichtigste, weil selbständigste im Leben und Philosophieren Nietz-
sches" (ebd.). Zieglers ,unfröhliche' Deutung findet noch in späteren Interpre-
tationen von FW Widerhall, so etwa bei Jaspers 1936 (s. u.) und Bonsels 1959,
10, der ganz ähnlich nur ein „schmerzliches Als-Ob der Fröhlichkeit" in dem
Werk erkennen kann und festhält: „So tarnt Nietzsche mit seinem unbe-
schwerten Wort [,fröhlich'] die Gefahr seines plötzlichen Aufbruchs und Über-
ganges." (Ebd., 11)
Ganz anders bewertet demgegenüber N.s Schwester Elisabeth Förster-
Nietzsche den Status von FW in ihrer „Einführung" zu der Ausgabe, die 1927
unter dem Titel Die ewige Wiederkunft. Dichtungen im Kröner-Verlag erschienen
war und neben „Aphorismen über die Ewige Wiederkunft" und „Gedichten aus
dem Nachlaß" (Förster-Nietzsche 1927, 425 f.) auch FW enthält. Zwar deutet
Förster-Nietzsche, älteren Ordnungsmustern entsprechend, FW, mit der die
,Wiederkunftslehre' sowie „die dichterische Periode Nietzsches" beginne (ebd.,
XXII), vor allem „als eine Überleitung [...] von der kühleren, skeptischeren Zeit
zu dem ,Zarathustra', der die höchste Bejahung des Lebens verherrlichen soll-
kann, und darum giebt er seinen nächsten Schriften den Titel ,Morgenröte' und
,Die fröhliche Wissenschaft'. Die positivistische Aufklärungsperiode erscheint
ihm nun selbst als ,Dunkelzeit', er kehrt sich von ihr ab der Sonne zu [...]. /
Und dabei half ihm der Positivismus wieder, den Positivismus zu überwinden."
(Ebd., 111)
In diesen wenig präzisen Sätzen erschöpfen sich Zieglers Äußerungen zu
FW als Übergangswerk, das quasi teleologisch auf Za zulaufe, aber noch
nicht. Vielmehr bezweifelt er autorpsychologisch vor dem lebens- bzw. leidens-
geschichtlichen Entstehungshintergrund (und in unterschwelligem Bezug auf
FW Vorrede) die Authentizität der „Fröhlichkeit" von FW und bescheinigt dem
Werk stattdessen insgesamt einen „tragischen Eindruck": „In Schmerzen ist
die fröhliche Wissenschaft empfangen und geboren worden. Und daher ist es
kein Wunder, daß diese den Schmerzen abgerungene Fröhlichkeit eine er-
zwungene und unheimliche ist. [...] Den Wert des Leidens hat Nietzsche ver-
standen wie wenige und deshalb auch das Leiden nie missen mögen; darum
ist keine wirkliche Fröhlichkeit in ihm, sondern nur die große Sehnsucht nach
etwas, das er nicht hat, die Sehnsucht des Leidenden und Kranken nach der
Gesundheit, die ihm fehlt." (Ebd., 118) Da N. noch dazu - was angezweifelt
werden darf - „gänzlich humorlos" sei, kippe die aufgesetzte, herbeige-
wünschte Fröhlichkeit schließlich in Tragik um: „Und daher macht gerade ,die
fröhliche Wissenschaft' einen so tragischen Eindruck, unter Schmerzen ist sie
entstanden, ausdrücklich hebt an ihrem Ende [gemeint ist die Erstausgabe von
1882, die mit FW 342 schloss] die Tragödie an. Incipit tragoedia - und damit
endigt die zweite Periode und beginnt die Zeit Zarathustras", für Ziegler „frag-
los die wichtigste, weil selbständigste im Leben und Philosophieren Nietz-
sches" (ebd.). Zieglers ,unfröhliche' Deutung findet noch in späteren Interpre-
tationen von FW Widerhall, so etwa bei Jaspers 1936 (s. u.) und Bonsels 1959,
10, der ganz ähnlich nur ein „schmerzliches Als-Ob der Fröhlichkeit" in dem
Werk erkennen kann und festhält: „So tarnt Nietzsche mit seinem unbe-
schwerten Wort [,fröhlich'] die Gefahr seines plötzlichen Aufbruchs und Über-
ganges." (Ebd., 11)
Ganz anders bewertet demgegenüber N.s Schwester Elisabeth Förster-
Nietzsche den Status von FW in ihrer „Einführung" zu der Ausgabe, die 1927
unter dem Titel Die ewige Wiederkunft. Dichtungen im Kröner-Verlag erschienen
war und neben „Aphorismen über die Ewige Wiederkunft" und „Gedichten aus
dem Nachlaß" (Förster-Nietzsche 1927, 425 f.) auch FW enthält. Zwar deutet
Förster-Nietzsche, älteren Ordnungsmustern entsprechend, FW, mit der die
,Wiederkunftslehre' sowie „die dichterische Periode Nietzsches" beginne (ebd.,
XXII), vor allem „als eine Überleitung [...] von der kühleren, skeptischeren Zeit
zu dem ,Zarathustra', der die höchste Bejahung des Lebens verherrlichen soll-