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Kaufmann, Sebastian; Nietzsche, Friedrich; Walter de Gruyter GmbH & Co. KG [Mitarb.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 3,2, 1. Teilband): Kommentar zu Nietzsches "Die fröhliche Wissenschaft" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2022

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https://doi.org/10.11588/diglit.73066#0087
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64 Die fröhliche Wissenschaft

te" (ebd., XX). Indes bezeichnet sie bereits die zu Za führende „Überleitungs-
schrift' FW, offensichtlich inspiriert von N.s werkbezogenen Selbstaussagen in
Briefen aus der Entstehungszeit der Erstausgabe, aber auch von späteren Äu-
ßerungen in FW Vorrede und der Retraktation in EH, als „durchflutet von neu-
gewonnener Lebenslust und Lebenskraft und der innigsten Dankbarkeit dafür"
(ebd., XXI). Insbesondere „das vierte Buch" sieht Förster-Nietzsche „von einer
innigen Glücksempfindung durchweht" (ebd.) - eine These, die sich bis in die
moderne Forschung hinein durchgehalten bzw. sich in dieser erst vollends
durchgesetzt hat und etwa bei Walter Kaufmann und Giorgio Colli in Gestalt
der Privilegierung des Vierten Buchs als ,gelungenster' und ,heiterster Teil' von
FW wiederbegegnen wird. Im Gegensatz zu diesen späteren Autoren (und im
Anschluss an einige späte Selbsteinschätzungen ihres Bruders) stellt Förster-
Nietzsche allerdings das in der neuen Ausgabe von 1887 hinzugekommene
Fünfte Buch nicht unter FW IV, sondern schwärmt geradezu von dem „Reich-
tum seiner Gedanken und seines Ausdrucksvermögens" und rückt es in die
Nähe der von ihr zusammen mit Heinrich Köselitz aus dem Nachlass kompilier-
ten WzM-Ausgabe: FW V präsentiere „die herrlichsten Aphorismen aus dem
vorbereiteten Material" für das vermeintliche Hauptwerk (ebd., XXIII). Abge-
sehen von der so konstruierten Zusammengehörigkeit mit WzM nimmt N.s
Schwester damit zugleich die Hochschätzung vorweg, die gerade das Fünfte
Buch in der Forschung Ende des 20., Anfang des 21. Jahrhunderts erfahren
sollte (vgl. vor allem Lampert 1993, 299-442 u. Stegmaier 2012b).
Ebenfalls im Kröner-Verlag war 1930 eine vom späteren NSDAP-,Parteiphi-
losophen' Alfred Baeumler verantwortete Taschenausgabe von FW erschiene-
nen, in deren Nachwort der Herausgeber zwar ähnlich wie Förster-Nietzsche
auf ein zugrunde liegendes Hochgefühl N.s abstellt, dies aber nicht nur allge-
mein als persönliches Glücksempfinden begreift, sondern spezifischer als
„Steigerung der Intensität [...], mit welcher Nietzsche nach der Vollendung der
,Morgenröte' den Kampf fortsetzt" (Baeumler 1930, 328). Baeumler spricht mar-
tialisch von einer Verschärfung „des Angriffs" (ebd.); dazu passende Ausdrü-
cke wie „Hauptgegner", „schneidendste[] Kritik" (ebd., 330), „Krieg" (ebd.,
332), „Kraft" und „Dolchstich" (ebd., 333) stecken das semantische Feld dieser
Deutung ab. Die laut Baeumler mit FW intensivierten Attacken richten sich
seines Erachtens gegen lebensfeindliche Moral, dekadente Kultur und demo-
kratischen Liberalismus, wobei er N. in nationalistischer Gesinnung gegen den
Vorwurf verteidigt, ein „Deutschenfeind" zu sein; N. verachte lediglich die libe-
ralen Deutschen seiner Gegenwart und fordere dagegen die ,Züchtung' eines
neuen, mitleidlosen Menschen-Typus. Der nationalsozialistischen N.-Verein-
nahmung ist damit zumal von FW aus der Weg gebahnt; von den Interpretati-
onen des ausgehenden 20. Jahrhunderts, die FW wegen ihrer unpolemischen
 
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