78 Die fröhliche Wissenschaft
drücklich als „Buch[] des ,gai / saber'" (KGW IX 5, W I 8, 63, 2 u. 38-40 =
NL 1885/86, 2[166], KSA 12, 149, 30 u. 151, 13). Ein etwas früheres Nachlass-
Notat aus dem Frühling 1885 vermerkt sarkastisch, es handle sich bei der For-
mel „gai / saber" um „zwei Worte, welche man freilich in Deutseh-/land nicht
leicht ,ins Deutsche' übersetzt" (KGW IX 1, NVII 1, 70, 34-38 = NL 1885, 34[181],
KSA 11, 482, 13 f.) - so dass die Absicht, den deutschen Titel durch den proven-
zalischen Untertitel besser verständlich zu machen, von vornherein unter zwei-
felhaften Vorzeichen stand.
Die Wendung „gai saber" als Synonym für „gaya scienza" und „fröhliche
Wissenschaft" taucht zum ersten Mal - möglicherweise angeregt durch die
Lektüre von Saint-Ogan 1885 (s. u.) - im Nachlass des Frühjahrs 1885 auf: Im
Vorfeld der Publikation von JGB, das auch insofern mit FW verzahnt ist, als
N. vorübergehend erwog, das Fünfte Buch statt der Neuausgabe von FW bes-
ser JGB beizugeben, kommt „gai saber" wiederholt als Haupttitel von geplan-
ten Werken vor (vgl. auch ΝΚ KSA 5, 9, 2 f.). So lautet in KGW IX 1, N VII 1, 194,
2-8 (NL 1885, KSA 11, 34[1], 423, 1-4) ein Titelentwurf: „Gai saber. / Selbst-
Bekenntnisse / Von / Friedr[ich] Nietzsche". Ein weiterer Titelentwurf sieht
vor: „Gai saber. / Versuch einer göttlichen Art zu / philosophiren. / Von /
Friedrich Nietzsche." (KGW IX 1, N VII 1, 42, 16-24 = NL 1885, 34[213], KSA 11,
494, 1-5) Und gleich mehrmals erhält ein nie geschriebenes Buch „Gai saber"
den - später JGB gegebenenen - Untertitel „Vorspiel [zu] einer Philosophie
der Zukunft" (so in KGW IX 4, W I 3, 4, 2-8 = NL 1885, 35[84], KSA 11, 547,
16 f., in KGW IX 4, W I 4, 51, 14-16 = NL 1885, 36[1], KSA 11, 549, lf., in
NL 1885, 36[6], KSA 11, 551, 21 f., in KGW IX 4, W I 5, 48, 14 = NL 1885, 41[1],
KSA 11, 669, 11 und in KGW IX 2, N VII 2, 120, 6 f. = NL 1885/86, 1[121], KSA 12, 39,
3 f.). Schließlich notiert N. noch den Titelentwurf „Gai saber. / Lieder des Prin-
zen / Vogelfrei. / Von Fr[iedrich] N[ietzsche]" (KGW IX 5, W I 8, 142, 11-15, vgl.
NL 1885/86, 2[73], KSA 12, 95, 11-13). Insgesamt gibt es im Nachlass von 1885
ca. zehn Stellen, an denen N. die provenzalische Wendung „gai saber" benutzt
(vgl. NK KSA 5, 19, 29-31; ausführlich Campioni 2010b u. Stegmaier 2012b, 35-
39); in seinen Werken kommt sie jedoch lediglich in JGB 260 (s. o.) und JGB 293
vor. In JGB 293 stellt das Text-Ich die „fröhliche Wissenschaft" seines eigenen
Denkens der durch „Unmännlichkeit" charakterisierten dekadenten Reli-
gion des Mitleids entgegen. Das „gute Amulet ,gai saber'" (KSA 5, 236, 11-16;
vgl. NK 5/1, S. 802) soll hier als Abwehrzauber gegen die schwächende, un-
männliche Mitleidsreligion dienen.
Viel wurde in der Forschung über die Quellen von N.s Kenntnis des „gai
saber" bzw. der „gaya scienza" spekuliert, ohne freilich zu letzten Gewisshei-
ten zu gelangen. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit kann aller-
dings davon ausgegangen werden, dass N. - wie so oft - seine entsprechenden
drücklich als „Buch[] des ,gai / saber'" (KGW IX 5, W I 8, 63, 2 u. 38-40 =
NL 1885/86, 2[166], KSA 12, 149, 30 u. 151, 13). Ein etwas früheres Nachlass-
Notat aus dem Frühling 1885 vermerkt sarkastisch, es handle sich bei der For-
mel „gai / saber" um „zwei Worte, welche man freilich in Deutseh-/land nicht
leicht ,ins Deutsche' übersetzt" (KGW IX 1, NVII 1, 70, 34-38 = NL 1885, 34[181],
KSA 11, 482, 13 f.) - so dass die Absicht, den deutschen Titel durch den proven-
zalischen Untertitel besser verständlich zu machen, von vornherein unter zwei-
felhaften Vorzeichen stand.
Die Wendung „gai saber" als Synonym für „gaya scienza" und „fröhliche
Wissenschaft" taucht zum ersten Mal - möglicherweise angeregt durch die
Lektüre von Saint-Ogan 1885 (s. u.) - im Nachlass des Frühjahrs 1885 auf: Im
Vorfeld der Publikation von JGB, das auch insofern mit FW verzahnt ist, als
N. vorübergehend erwog, das Fünfte Buch statt der Neuausgabe von FW bes-
ser JGB beizugeben, kommt „gai saber" wiederholt als Haupttitel von geplan-
ten Werken vor (vgl. auch ΝΚ KSA 5, 9, 2 f.). So lautet in KGW IX 1, N VII 1, 194,
2-8 (NL 1885, KSA 11, 34[1], 423, 1-4) ein Titelentwurf: „Gai saber. / Selbst-
Bekenntnisse / Von / Friedr[ich] Nietzsche". Ein weiterer Titelentwurf sieht
vor: „Gai saber. / Versuch einer göttlichen Art zu / philosophiren. / Von /
Friedrich Nietzsche." (KGW IX 1, N VII 1, 42, 16-24 = NL 1885, 34[213], KSA 11,
494, 1-5) Und gleich mehrmals erhält ein nie geschriebenes Buch „Gai saber"
den - später JGB gegebenenen - Untertitel „Vorspiel [zu] einer Philosophie
der Zukunft" (so in KGW IX 4, W I 3, 4, 2-8 = NL 1885, 35[84], KSA 11, 547,
16 f., in KGW IX 4, W I 4, 51, 14-16 = NL 1885, 36[1], KSA 11, 549, lf., in
NL 1885, 36[6], KSA 11, 551, 21 f., in KGW IX 4, W I 5, 48, 14 = NL 1885, 41[1],
KSA 11, 669, 11 und in KGW IX 2, N VII 2, 120, 6 f. = NL 1885/86, 1[121], KSA 12, 39,
3 f.). Schließlich notiert N. noch den Titelentwurf „Gai saber. / Lieder des Prin-
zen / Vogelfrei. / Von Fr[iedrich] N[ietzsche]" (KGW IX 5, W I 8, 142, 11-15, vgl.
NL 1885/86, 2[73], KSA 12, 95, 11-13). Insgesamt gibt es im Nachlass von 1885
ca. zehn Stellen, an denen N. die provenzalische Wendung „gai saber" benutzt
(vgl. NK KSA 5, 19, 29-31; ausführlich Campioni 2010b u. Stegmaier 2012b, 35-
39); in seinen Werken kommt sie jedoch lediglich in JGB 260 (s. o.) und JGB 293
vor. In JGB 293 stellt das Text-Ich die „fröhliche Wissenschaft" seines eigenen
Denkens der durch „Unmännlichkeit" charakterisierten dekadenten Reli-
gion des Mitleids entgegen. Das „gute Amulet ,gai saber'" (KSA 5, 236, 11-16;
vgl. NK 5/1, S. 802) soll hier als Abwehrzauber gegen die schwächende, un-
männliche Mitleidsreligion dienen.
Viel wurde in der Forschung über die Quellen von N.s Kenntnis des „gai
saber" bzw. der „gaya scienza" spekuliert, ohne freilich zu letzten Gewisshei-
ten zu gelangen. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit kann aller-
dings davon ausgegangen werden, dass N. - wie so oft - seine entsprechenden