148 Die fröhliche Wissenschaft
te." (Zitiert nach Hildebrand 1978, 60 f.) Vielleicht hat N., dessen Selbstbezeich-
nung als „Dynamit" sich bekanntlich aus Widmanns Eingangssatz herleitet
(vgl. NK 5/1, S. 12 u. 572 f.), die Rezension auch als Stichwortgeberin für FW
Vorrede genutzt. Dass diese auf „Herbst 1886" datiert ist, würde jedenfalls zeit-
lich damit zusammenpassen.
Auffällig ist im zu kommentierenden Passus die lebensgeschichtliche Zeit-
struktur, die im Fortgang des Textes weiterhin eine Rolle spielt: Indem das
sprechende Wir bekundet, in „Zukunft" nicht „wieder" Entschleierungsversu-
che zu unternehmen, gibt es ja gerade zu verstehen, dass es solche in der Ver-
gangenheit seiner ,Jünglingsjahre' durchaus unternommen hat. Den Dimensio-
nen der Vergangenheit und Zukunft wird im Folgenden noch diejenige der
Gegenwart - „Heute" (352, 11) - zur Seite gestellt. Allgemein zur philosophisch-
literarischen Tradition der Schleier- bzw. Entschleierungsmetaphorik, die N.
hier aufruft, vgl. Oster 2014.
352, 5 f. dieser Wille zur Wahrheit, zur „Wahrheit um jeden Preis"] Der „Wille
zur Wahrheit" ist seit 1882 eine stehende Wendung in N.s Schriften - analog
und durchaus in sachlicher Verbindung mit der Formel vom „Willen zur
Macht" (586, 1), die in FW 349 aufgerufen wird. Den Willen zur Wahrheit
thematisiert auch FW 344, wo diese Problematik auf das Feld der Moral hinü-
berspielt, was später dann auch GM III 24 (wörtlich) aufgreift. Die Absage des
sprechenden Wir an den Willen zur Wahrheit, der seines Erachtens für die
bisherige Philosophie kennzeichnend ist, zeigt sich auch in der Ironie, mit
der es sich von der zitathaft in Anführungszeichen gesetzten „Wahrheit um
jeden Preis" distanziert. Bereits in NL 1872/73, 19[97], KSA 7, 452, 12 f., heißt
es in kritischer Haltung gegenüber dem ,Sokratismus': „Das Aussprechen der
Wahrheit um jeden Preis ist sokratisch." In FW 344, 576, 12-14
spricht das sich dort artikulierende Wir von der „Unnützlichkeit und Gefähr-
lichkeit des ,Willens zur Wahrheit', der ,Wahrheit um jeden Preis'".
Die Formel „Wille zur Wahrheit" wiederum kommt bei N. zum ersten Mal
im Heft Z I 1 vom Sommer 1882 vor, dessen Notate später zum Teil in das Vierte
Hauptstück von JGB einfließen werden (vgl. NK 5/1, S. 76-79). Jene Stelle, wo
die Wendung erstmals auftaucht, lautet: „,Wille zur Wahrheit!' Reden wir nicht
mehr so einfältig und großthuerisch! Wir wollen die Welt uns denkbar, womög-
lich sichtbar machen - ja machen! - Alle Physik ist auf Sichtbar-Machung
aus." (NL 1882, 3[1], KSA 10, 87, 11-14) N. könnte die Formel „Wille zur Wahr-
heit" von Kuno Fischer entlehnt haben (vgl. das gleichnamige Kapitel im ersten
Band der Geschichte der neuern Philosophie über Descartes, bes. Fischer 1865,
1, 361; siehe auch NK KSA 5, 15, 4), mit dessen Lektüre N. zeitnah, nämlich
1881 begonnen hatte. Freilich kommt sie auch in anderen Büchern vor, die sich
te." (Zitiert nach Hildebrand 1978, 60 f.) Vielleicht hat N., dessen Selbstbezeich-
nung als „Dynamit" sich bekanntlich aus Widmanns Eingangssatz herleitet
(vgl. NK 5/1, S. 12 u. 572 f.), die Rezension auch als Stichwortgeberin für FW
Vorrede genutzt. Dass diese auf „Herbst 1886" datiert ist, würde jedenfalls zeit-
lich damit zusammenpassen.
Auffällig ist im zu kommentierenden Passus die lebensgeschichtliche Zeit-
struktur, die im Fortgang des Textes weiterhin eine Rolle spielt: Indem das
sprechende Wir bekundet, in „Zukunft" nicht „wieder" Entschleierungsversu-
che zu unternehmen, gibt es ja gerade zu verstehen, dass es solche in der Ver-
gangenheit seiner ,Jünglingsjahre' durchaus unternommen hat. Den Dimensio-
nen der Vergangenheit und Zukunft wird im Folgenden noch diejenige der
Gegenwart - „Heute" (352, 11) - zur Seite gestellt. Allgemein zur philosophisch-
literarischen Tradition der Schleier- bzw. Entschleierungsmetaphorik, die N.
hier aufruft, vgl. Oster 2014.
352, 5 f. dieser Wille zur Wahrheit, zur „Wahrheit um jeden Preis"] Der „Wille
zur Wahrheit" ist seit 1882 eine stehende Wendung in N.s Schriften - analog
und durchaus in sachlicher Verbindung mit der Formel vom „Willen zur
Macht" (586, 1), die in FW 349 aufgerufen wird. Den Willen zur Wahrheit
thematisiert auch FW 344, wo diese Problematik auf das Feld der Moral hinü-
berspielt, was später dann auch GM III 24 (wörtlich) aufgreift. Die Absage des
sprechenden Wir an den Willen zur Wahrheit, der seines Erachtens für die
bisherige Philosophie kennzeichnend ist, zeigt sich auch in der Ironie, mit
der es sich von der zitathaft in Anführungszeichen gesetzten „Wahrheit um
jeden Preis" distanziert. Bereits in NL 1872/73, 19[97], KSA 7, 452, 12 f., heißt
es in kritischer Haltung gegenüber dem ,Sokratismus': „Das Aussprechen der
Wahrheit um jeden Preis ist sokratisch." In FW 344, 576, 12-14
spricht das sich dort artikulierende Wir von der „Unnützlichkeit und Gefähr-
lichkeit des ,Willens zur Wahrheit', der ,Wahrheit um jeden Preis'".
Die Formel „Wille zur Wahrheit" wiederum kommt bei N. zum ersten Mal
im Heft Z I 1 vom Sommer 1882 vor, dessen Notate später zum Teil in das Vierte
Hauptstück von JGB einfließen werden (vgl. NK 5/1, S. 76-79). Jene Stelle, wo
die Wendung erstmals auftaucht, lautet: „,Wille zur Wahrheit!' Reden wir nicht
mehr so einfältig und großthuerisch! Wir wollen die Welt uns denkbar, womög-
lich sichtbar machen - ja machen! - Alle Physik ist auf Sichtbar-Machung
aus." (NL 1882, 3[1], KSA 10, 87, 11-14) N. könnte die Formel „Wille zur Wahr-
heit" von Kuno Fischer entlehnt haben (vgl. das gleichnamige Kapitel im ersten
Band der Geschichte der neuern Philosophie über Descartes, bes. Fischer 1865,
1, 361; siehe auch NK KSA 5, 15, 4), mit dessen Lektüre N. zeitnah, nämlich
1881 begonnen hatte. Freilich kommt sie auch in anderen Büchern vor, die sich