Stellenkommentar FW 1, KSA 3, S. 369-370 255
in den Modus der Hypothese: Es folgen noch vier Einschränkungen des Gesag-
ten durch die modal abschwächenden Satzadverbien „vielleicht" und „wahr-
scheinlich" (vgl. 370, 4, 8 f., 19, 23 u. 24).
Der in FW 1 vorgetragene Gedanke, moralisch schlechte Handlungen könn-
ten sich als durchaus nützlich für die Arterhaltung des Menschen erweisen,
taucht nicht nur in FW 4 wieder - diesmal sogar als apodiktische Behaup-
tung - auf (vgl. 376, 6-10), sondern wird im weiteren Verlauf von FW noch
durch die erkenntnistheoretische Erwägung ,ergänzt', dass es auch „Irrthü-
mer" des Intellekts gebe, die „sich als nützlich und arterhaltend" erwiesen ha-
ben (FW 110, 469, 7 f.). Der arterhaltenden ,bösen' Handlung korrespondiert
sozusagen dieses arterhaltende ,falsche' Denken. Die Substantive „Arterhal-
tung", „Arterhaltendes" ebenso wie das Adjektiv „arterhaltend" (hierzu siehe
schon ausführlich NK 369, 3-10) benutzt N. übrigens im veröffentlichten Werk
ausschließlich in fünf Abschnitten der Erstausgabe von FW, ansonsten laut
eKGWB nur in sechs Nachlass-Notaten zwischen 1880 und 1885 (vgl. NL 1880,
6[456], KSA 9, 316, 6; NL 1882, 1[43], KSA 10, 21, 31; NL 1882/83, 5[1], KSA 10,
202, 11; NL 1883, 7[238], KSA 10, 315, 14; NL 1883, 8[18], KSA 10, 340, 21; KGW
IX 4, W I 3, 96, 11 = NL 1885, 35[37], KSA 11, 527, 3).
370, 1-6 Ich weiss nicht mehr, ob du, mein lieber Mitmensch und Nächster,
überhaupt zu Ungunsten der Art, also „unvernünftig" und „schlecht" leben
kannst; Das, was der Art hätte schaden können, ist vielleicht seit vielen Jahr-
tausenden schon ausgestorben und gehört jetzt zu den Dingen, die selbst bei Gott
nicht mehr möglich sind.] Vgl. den Eingangssatz von NL 1881, 11[122], KSA 9,
484, 24-29: „Die sämmtlichen thierisch-menschlichen Triebe haben sich be-
währt, seit unendlicher Zeit, sie würden, wenn sie der Erhaltung der Gat-
tung schädlich wären, untergegangen sein: deshalb können sie immer
noch dem Individuum schädlich und peinlich sein - aber die Gattungs-Zweck-
mäßigkeit ist das Princip der erhaltenden Kraft." Siehe hierzu Fornari 2009,
121. Der hier zu kommentierende Passus ist aus folgender Version in der ,Rein-
schrift' hervorgegangen: „Bei einem solchen Blick auf das ungeheure Ganze
und dessen Vortheile mußt du einsehen, mein lieber Mitmensch und Nächst-
nächster, daß du gar nicht ,unvernünftig' und ,schlecht' leben kannst - das
was der Art hätte schaden können ist 'vielleicht' seit vielen vielen Jahrtausen-
den 'schon™ ausgestorben': der wirkliche ,Egoist" gehört jetzt zu den Dingen,
die selbst bei Gott nicht 'mehr™ möglich sind." (Μ III 6, 44) Unberührt von den
kleineren Änderungen bleibt der formale Wechsel in der Sprechhaltung von
den bisherigen Ich-Aussagen hin zur Ansprache eines „du" als „lieber Mit-
mensch", die zunächst aber nur bis 370, 15 anhält, bis dann erst am Schluss
wieder eine direkte Anrede - diesmal mehrerer Personen - erfolgt (vgl. NK 372,
31 f.).
in den Modus der Hypothese: Es folgen noch vier Einschränkungen des Gesag-
ten durch die modal abschwächenden Satzadverbien „vielleicht" und „wahr-
scheinlich" (vgl. 370, 4, 8 f., 19, 23 u. 24).
Der in FW 1 vorgetragene Gedanke, moralisch schlechte Handlungen könn-
ten sich als durchaus nützlich für die Arterhaltung des Menschen erweisen,
taucht nicht nur in FW 4 wieder - diesmal sogar als apodiktische Behaup-
tung - auf (vgl. 376, 6-10), sondern wird im weiteren Verlauf von FW noch
durch die erkenntnistheoretische Erwägung ,ergänzt', dass es auch „Irrthü-
mer" des Intellekts gebe, die „sich als nützlich und arterhaltend" erwiesen ha-
ben (FW 110, 469, 7 f.). Der arterhaltenden ,bösen' Handlung korrespondiert
sozusagen dieses arterhaltende ,falsche' Denken. Die Substantive „Arterhal-
tung", „Arterhaltendes" ebenso wie das Adjektiv „arterhaltend" (hierzu siehe
schon ausführlich NK 369, 3-10) benutzt N. übrigens im veröffentlichten Werk
ausschließlich in fünf Abschnitten der Erstausgabe von FW, ansonsten laut
eKGWB nur in sechs Nachlass-Notaten zwischen 1880 und 1885 (vgl. NL 1880,
6[456], KSA 9, 316, 6; NL 1882, 1[43], KSA 10, 21, 31; NL 1882/83, 5[1], KSA 10,
202, 11; NL 1883, 7[238], KSA 10, 315, 14; NL 1883, 8[18], KSA 10, 340, 21; KGW
IX 4, W I 3, 96, 11 = NL 1885, 35[37], KSA 11, 527, 3).
370, 1-6 Ich weiss nicht mehr, ob du, mein lieber Mitmensch und Nächster,
überhaupt zu Ungunsten der Art, also „unvernünftig" und „schlecht" leben
kannst; Das, was der Art hätte schaden können, ist vielleicht seit vielen Jahr-
tausenden schon ausgestorben und gehört jetzt zu den Dingen, die selbst bei Gott
nicht mehr möglich sind.] Vgl. den Eingangssatz von NL 1881, 11[122], KSA 9,
484, 24-29: „Die sämmtlichen thierisch-menschlichen Triebe haben sich be-
währt, seit unendlicher Zeit, sie würden, wenn sie der Erhaltung der Gat-
tung schädlich wären, untergegangen sein: deshalb können sie immer
noch dem Individuum schädlich und peinlich sein - aber die Gattungs-Zweck-
mäßigkeit ist das Princip der erhaltenden Kraft." Siehe hierzu Fornari 2009,
121. Der hier zu kommentierende Passus ist aus folgender Version in der ,Rein-
schrift' hervorgegangen: „Bei einem solchen Blick auf das ungeheure Ganze
und dessen Vortheile mußt du einsehen, mein lieber Mitmensch und Nächst-
nächster, daß du gar nicht ,unvernünftig' und ,schlecht' leben kannst - das
was der Art hätte schaden können ist 'vielleicht' seit vielen vielen Jahrtausen-
den 'schon™ ausgestorben': der wirkliche ,Egoist" gehört jetzt zu den Dingen,
die selbst bei Gott nicht 'mehr™ möglich sind." (Μ III 6, 44) Unberührt von den
kleineren Änderungen bleibt der formale Wechsel in der Sprechhaltung von
den bisherigen Ich-Aussagen hin zur Ansprache eines „du" als „lieber Mit-
mensch", die zunächst aber nur bis 370, 15 anhält, bis dann erst am Schluss
wieder eine direkte Anrede - diesmal mehrerer Personen - erfolgt (vgl. NK 372,
31 f.).