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Kaufmann, Sebastian; Nietzsche, Friedrich; Walter de Gruyter GmbH & Co. KG [Contr.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 3,2, 1. Teilband): Kommentar zu Nietzsches "Die fröhliche Wissenschaft" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2022

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https://doi.org/10.11588/diglit.73066#0760
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Stellenkommentar FW 107, KSA 3, S. 464 737

und gerade in FW der desillusionierenden ,redlichen Wissenschaft' immer wie-
der der schöne Schein der Kunst als Korrektiv gegenübergestellt wird, auf dass
sich „die Wissenschaft" zur ,fröhlichen Wissenschaft' auflockere und erträglich
werde.
Eine andere, gewissermaßen wissenschaftsoptimistischere Option hatte im
Ersten Buch noch FW 12 vorgestellt, wo zwar auch ,die Wissenschaft' „als die
grosse Schmerzbringerin" in Betracht kam, die aber zugleich in sich
selbst „vielleicht" ihre eigene „Gegenkraft" (also nicht eine äußere „Gegen-
macht" wie die „Kunst" in FW 107) trage, nämlich ein „ungeheures Vermögen,
neue Sternenwelten der Freude aufleuchten zu lassen" (384, 13-16). FW 107
schließt dagegen offensichtlich eher an die ältere Überlegung in MA I 251 an,
der zufolge „die Wissenschaft immer weniger Freude durch sich macht und
immer mehr Freude, durch Verdächtigung der tröstlichen Metaphysik, Religion
und Kunst, nimmt" (KSA 2, 209, 3-6). Während jedoch laut MA I 251 ein ,Zwei-
kammersystem' der Kultur nötig sei, wobei die Wissenschaft in der einen,
Metaphysik, Religion und Kunst in der anderen Kammer koexistieren bzw. ei-
nander wechselseitig beschränken sollen, entwickelt FW 107 quasi ein Zwei-
phasenmodell des Wechsels von wissenschaftlicher Desillusionierung und
künstlerischer Illusionsbildung (Metaphysik und Religion spielen dabei keine
Rolle mehr; die „Moral" wird in 465, 8-13 explizit gegen die Kunst abgegrenzt).
Einen engen Zusammenhang mit den Thematisierungen von Irrtum und
Unwahrheit in den Abschnitten FW 110 und FW 111 zu Beginn des Dritten
Buchs betont Clark 2015, 238, Anm. 25 hinsichtlich der in FW 107 genannten
wissenschaftlichen „Einsicht in den Wahn und Irrthum als in eine Bedingung
des erkennenden und empfindenden Daseins". Vor diesem Hintergrund greift
sie ebd. Walter Kaufmanns Übersetzung an: „the claim of GS 107 does not
mean that delusion and error are necessarily involved in human knowledge,
as Kaufmann's translation unfortunately suggests, but that knowledge (Er-
kenntniss) [...] could not have come into existence without error." Wörtlich
lautet Kaufmanns Übersetzung der betreffenden Partie in Nietzsche 1974, 163:
„the realization that delusion and error are conditions of human knowledge
and Sensation". Auffällig ist in der Tat, dass Kaufmann N.s „Dasein[]" merk-
lich verengend (heideggerianisierend?) als „human" übersetzt. Dass „unter
den Bedingungen des Lebens" - nicht unter denen der Erkenntnis - „der Irr-
thum sein [könnte]" (478, 3 f.), formuliert übrigens ähnlich wie FW 107, wenn-
gleich in vorsichtigerer, hypothetischer Form der Schlusssatz von FW 121.
464, 18-23 die Kunst, als den guten Willen zum Scheine. Wir verwehren es
unserm Auge nicht immer, auszurunden, zu Ende zu dichten: und dann ist es
nicht mehr die ewige Unvollkommenheit, die wir über den Fluss des Werdens
tragen - dann meinen wir, eine Göttin zu tragen und sind stolz und kindlich in
 
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