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Kaufmann, Sebastian; Nietzsche, Friedrich; Walter de Gruyter GmbH & Co. KG [Contr.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 3,2, 1. Teilband): Kommentar zu Nietzsches "Die fröhliche Wissenschaft" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2022

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https://doi.org/10.11588/diglit.73066#0772
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Stellenkommentar FW 109, KSA 3, S. 467 749

nannten Theorien nicht immer gelungen." (Vaihinger 1875, 196) Die N.-For-
schung hat bereits in den 1990er Jahren herausgearbeitet, dass FW 109 und
die damit verwandten Aufzeichnungen aus Μ III 1 vor allem auf Lektüreanre-
gungen durch Otto Casparis Aufsatzsammlung Der Zusammenhang der Dinge
(1881) zurückgehen und entstehungsgeschichtlich auf den Gedanken der ,ewi-
gen Wiederkehr des Gleichen' zulaufen (vgl. D'lorio 1995 u. Brusotti 1997b, bes.
360-363), der im hier zu kommentierenden Text selbst aber allenfalls am Ran-
de anklingt (vgl. NK 468, 12-14).
Hauptsächlich trägt das sprechende Wir/Ich im Sinne einer durch den Titel
angezeigten Selbstermahnung eine Kritik an verschiedenen traditionellen bzw.
zeitgenössischen kosmologischen Vorstellungen vor, die insgesamt als anthro-
pomorphistisch abgelehnt werden. Dagegen setzt es seine eigene ,negative
Kosmologie', die vor allem sagt, was und wie das Weltall nicht ist. Die vita-
listische Auffassung vom All als Organismus wird ebenso als unstatthafte
Vermenschlichung verworfen wie die ihr entgegengesetzte mechanistische
Auffassung, die das All als Maschine begreift. Die Prädikate, die der Sprecher
dagegen dem Kosmos beilegt, sind in beidseitiger Umkehr verneinende, ab-
sprechende: Durch Leblosigkeit, Trieblosigkeit, Ziel- und Zwecklosigkeit, Un-
geordnetheit, Form- und Vernunftlosigkeit, aber auch durch Zufallslosigkeit
zeichnet sich das Universum demzufolge aus; es erscheint als ,unmenschliche',
unvollkommene, ja chaotische Notwendigkeit ohne durchgängige schöpferi-
sche Potenz. Zwar wird zugestanden, dass wir in einem wohlgeordneten Win-
kel des Alls leben, doch habe die uns umgebende Ordnung, insbesondere das
Leben auf der Erde, einen extremen Ausnahmecharakter, der Rückschlüsse
oder Übertragungen auf den Rest des Universums verbiete, wie sie die organi-
zistische oder mechanistische Kosmologie gleichwohl vollziehen. Die Sprech-
instanz begreift derlei Weltbilder am Ende des Abschnitts als „Schatten Got-
tes", so dass sich eine Verbindung mit dem vorangehenden Abschnitt FW 108
ergibt: Wurde dort dem Schatten des toten Gottes der Kampf angesagt, so lie-
fert FW 109 zum Schluss in Gestalt rhetorischer, mit Ausrufezeichen versehe-
ner Fragen einen Ausblick auf die restlose Entgöttlichung der Natur, die das
sprechende Wir offensichtlich als seine genuine ,naturphilosophische' Aufgabe
begreift.
Damit sind zu Beginn des Dritten Buchs Töne angeschlagen, die sich merk-
lich von den künstlerischen Weltentwürfen absetzen, von denen das Zweite
Buch noch streckenweise geprägt bzw. insgesamt eingerahmt war. Die spre-
chenden Wir in FW 109 scheinen sich mit ihrem Desillusionierungsprojekt je-
nen „nüchternen Menschen" anzunähern, die der Sprecher in FW 57 noch da-
für verspottete, sich „gegen Leidenschaft und Phantasterei gewappnet" zu
fühlen (421, 3 f.) und „die Wirklichkeit entschleiert" sehen zu wollen (421, 8).
Das als „ästhetisches Phänomen" (464, 23 f.) für die Sprechinstanz von FW 107
 
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