1044 Die fröhliche Wissenschaft
(vgl. Nietzsche 1882/87, 194). In seiner Retraktation von FW in EH hebt N. diese
acht Abschnitte besonders hervor, wenn er „die granitnen Sätze am Ende des
dritten Buchs" erwähnt, „mit denen sich ein Schicksal für alle Zeiten zum
ersten Male in Formeln fasst" (KSA 6, 333, 22-24). Bereits kurz nach dem Er-
scheinen der Erstausgabe von FW schreibt Heinrich Köselitz am 22. August
1882 an N. über diese Sätze: „Zum Prägnantesten, was Sie geschrieben haben,
gehören die Fragen und Antworten am Ende des 3. Buchs. Das sind wahrhaftig
die Grundpfeiler Ihrer Moralität, und am schönsten finde ich, wie Sie angeben,
wer Ihnen als schlecht [vgl. FW 273] und ferner was Ihnen als das Mensch-
lichste [vgl. FW 274] gilt. Als ich jene letzte Seite des 3. Buchs las, wünschte
ich auf einmal, dass Sie und Ihre Schriften mir unbekannt wären und dass jene
Seite das Erste wäre, was ich von Ihnen kennen lernte, nur um zu wissen, wie
ich mich dazu verhalten haben würde." (KGB III 2, Nr. 136, S. 277, Z. 33-41;
vgl. hierzu KGB III, 7/1, 672) Entsprechend oft sind die acht Abschnitte in der
Forschung zusammen behandelt und als N.s persönliches, positives Glaubens-
bzw. Moralbekenntnis in der (parodierten) Form eines Katechismus gedeutet
worden, so etwa von Brusotti 1997b, 448-451, Sommer 2000a, 88, Franco 2011,
139, Schacht 2015, 103, Bloch 2017, 143, Meyer 2019a, 213 f. und Ure 2019, 152 f.
Im Korrekturbogen steht statt dieser acht Texte noch ein einziger, rot
durchgestrichener Abschnitt „268", der motivisch auf FW 299 (siehe NK 538,
12-14) vorausdeutet: „Recept wider die Medicin. - ,Das sind lauter neue
Lehren und lauter neue Medicinen, - sagt ihr mir; das will uns nicht schme-
cken!' Nun, macht es nur so, wie es alle klugen Kranken machen, - trinkt den
Trank in einem langen Zuge hinunter und dann schnell noch etwas Süsses und
Würziges hinterdrein, das euch den Gaumen rein spüle und euer Gedächtniss
betrüge! Die ,Wirkung' wird trotzdem nicht ausbleiben, - dessen seid versi-
chert! Denn ihr habt nunmehr ,den Teufel im Leibe', wie euch alle alten Medi-
cinmänner sagen werden." (Cb, 194) Die ,Reinschrift' hierzu findet sich in
M III 6, 200 f.; Titel dort korrigiert aus: „Recept nach dem Recepte." Vgl. auch
NL 1881/82, 16[11], KSA 9, 660 f. und die Vorarbeit NL 1881, 15[50], KSA 9, 651
(Handschriften in N V 7, 127 u. Μ III 4, 150), wo Zarathustra diese bzw. ähnliche
Worte in den Mund gelegt werden. Zur Änderung des Buch-Schlusses vgl. Bru-
sotti 1997b, 448, Anm. 126.
Mit anderen Texten zum „Heroismus als Ideal" (z. B. MA II VM 86)
stellt Andreas-Salome 1894, 24 die Druckfassung von FW 268 zusammen, die
sie biographisch auf N.s „eigene qualvolle Unvollkommenheit" zurückführt,
die „ihn dem Ideal und dessen Tyrannei entgegen[riss]". Als Ankündigung von
„Nietzsches ,tragische[m] Ende'" in Turin versteht Winteler 2014, 221 den Text;
Ansell-Pearson/Ure 2017, 280 lesen ihn allgemeiner als „antithesis of self-pre-
servation".
(vgl. Nietzsche 1882/87, 194). In seiner Retraktation von FW in EH hebt N. diese
acht Abschnitte besonders hervor, wenn er „die granitnen Sätze am Ende des
dritten Buchs" erwähnt, „mit denen sich ein Schicksal für alle Zeiten zum
ersten Male in Formeln fasst" (KSA 6, 333, 22-24). Bereits kurz nach dem Er-
scheinen der Erstausgabe von FW schreibt Heinrich Köselitz am 22. August
1882 an N. über diese Sätze: „Zum Prägnantesten, was Sie geschrieben haben,
gehören die Fragen und Antworten am Ende des 3. Buchs. Das sind wahrhaftig
die Grundpfeiler Ihrer Moralität, und am schönsten finde ich, wie Sie angeben,
wer Ihnen als schlecht [vgl. FW 273] und ferner was Ihnen als das Mensch-
lichste [vgl. FW 274] gilt. Als ich jene letzte Seite des 3. Buchs las, wünschte
ich auf einmal, dass Sie und Ihre Schriften mir unbekannt wären und dass jene
Seite das Erste wäre, was ich von Ihnen kennen lernte, nur um zu wissen, wie
ich mich dazu verhalten haben würde." (KGB III 2, Nr. 136, S. 277, Z. 33-41;
vgl. hierzu KGB III, 7/1, 672) Entsprechend oft sind die acht Abschnitte in der
Forschung zusammen behandelt und als N.s persönliches, positives Glaubens-
bzw. Moralbekenntnis in der (parodierten) Form eines Katechismus gedeutet
worden, so etwa von Brusotti 1997b, 448-451, Sommer 2000a, 88, Franco 2011,
139, Schacht 2015, 103, Bloch 2017, 143, Meyer 2019a, 213 f. und Ure 2019, 152 f.
Im Korrekturbogen steht statt dieser acht Texte noch ein einziger, rot
durchgestrichener Abschnitt „268", der motivisch auf FW 299 (siehe NK 538,
12-14) vorausdeutet: „Recept wider die Medicin. - ,Das sind lauter neue
Lehren und lauter neue Medicinen, - sagt ihr mir; das will uns nicht schme-
cken!' Nun, macht es nur so, wie es alle klugen Kranken machen, - trinkt den
Trank in einem langen Zuge hinunter und dann schnell noch etwas Süsses und
Würziges hinterdrein, das euch den Gaumen rein spüle und euer Gedächtniss
betrüge! Die ,Wirkung' wird trotzdem nicht ausbleiben, - dessen seid versi-
chert! Denn ihr habt nunmehr ,den Teufel im Leibe', wie euch alle alten Medi-
cinmänner sagen werden." (Cb, 194) Die ,Reinschrift' hierzu findet sich in
M III 6, 200 f.; Titel dort korrigiert aus: „Recept nach dem Recepte." Vgl. auch
NL 1881/82, 16[11], KSA 9, 660 f. und die Vorarbeit NL 1881, 15[50], KSA 9, 651
(Handschriften in N V 7, 127 u. Μ III 4, 150), wo Zarathustra diese bzw. ähnliche
Worte in den Mund gelegt werden. Zur Änderung des Buch-Schlusses vgl. Bru-
sotti 1997b, 448, Anm. 126.
Mit anderen Texten zum „Heroismus als Ideal" (z. B. MA II VM 86)
stellt Andreas-Salome 1894, 24 die Druckfassung von FW 268 zusammen, die
sie biographisch auf N.s „eigene qualvolle Unvollkommenheit" zurückführt,
die „ihn dem Ideal und dessen Tyrannei entgegen[riss]". Als Ankündigung von
„Nietzsches ,tragische[m] Ende'" in Turin versteht Winteler 2014, 221 den Text;
Ansell-Pearson/Ure 2017, 280 lesen ihn allgemeiner als „antithesis of self-pre-
servation".