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Kaufmann, Sebastian; Nietzsche, Friedrich; Walter de Gruyter GmbH & Co. KG [Mitarb.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 3,2, 2. Teilband): Kommentar zu Nietzsches "Die fröhliche Wissenschaft" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2022

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https://doi.org/10.11588/diglit.73067#0556
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Stellenkommentar FW 383 / FW Anhang, KSA 3, S. 638-639 1597

letzten Satz von Beethovens 9. Sinfonie, mit dem der Hauptteil des Satzes be-
ginnt und das den ,Freudengesang' (aus Schillers Ode An die Freude) mit den
Worten einleitet: „0 Freunde, nicht diese Töne! sondern lasst uns angenehme-
re anstimmen, und Freudenvollere." (Beethoven 1826, lllf.) Im Druckmanu-
skript steht: „Sondern laßt uns andere anstimmen und freudenvollere!" (D 16a,
58) Schon der frühe N. bringt in einer nachgelassenen Aufzeichnung das Beet-
hoven-Zitat und reflektiert auf den dazugehörigen Gesang: „Und was sagt uns
Beethoven selbst, indem er diesen Chorgesang durch ein Recitativ einführen
läßt: ,Ach Freunde, nicht diese Töne, sondern laßt uns angenehmere anstim-
men und freudenvollere!' Angenehmere und freudenvollere! Dazu brauchte
er den überzeugenden Ton der Menschenstimme, dazu brauchte er die Un-
schuldsweise des Volksgesanges." (NL 1871, 12[1], KSA 7, 367, 11-17) Vgl. auch
NK 651, 30.
638, 10 f. Das ist nun einmal „des Sängers Fluch".] Zitiert und umgedeutet wird
hier der Titel der gleichnamigen Ballade (1814) von Ludwig Uhland: Handelt
es sich bei Uhlands Titelformulierung um einen Genitivus subjectivus - der
Sänger ist es, der seinen Fluch gegenüber einem unmenschlichen Herrscher
ausspricht -, so ist das Zitat bei N. hingegen als Genitivus objectivus gemeint:
Der Sänger steht demnach unter dem Fluch des Missverstanden-Werdens (zur
Frage der [Un-]Verständlichkeit vgl. FW 371 u. FW 381). Dahinter steckt ein
komplexer, performativer Wortwitz: Gerade indem das Uhland-Zitat in ,fal-
schem' Sinn wiedergegeben wird, bestätigt es, dass dieser Sinn ,richtig' ist -
der „Fluch" des Missverständnisses trifft damit auch den „Sänger" Uhland.
638, 11 deutlicher] In D 16a, 58 korrigiert aus: „besser".
638, 12 f. um so besser auch nach seiner Pfeife - tanzen) D 16a, 58: „um so
schneller läßt sich 'besser' nach seiner Pfeife - tanzen". Vgl. Wander 1867-
1880, 3, 1259, wo die Bedeutung der sprichwörtlichen Redensart: „Er muss
nach meiner Pfeife tanzen." folgendermaßen umschrieben wird: „Sich ganz
nach meinem Willen richten." Vgl. die Ausführungen zur musikalisch-poeti-
schen Tanz-Therapie der Antike in FW 84: „Wenn die richtige Spannung und
Harmonie der Seele verloren gegangen war, musste man tanzen, in dem Tac-
te des Sängers, - das war das Recept dieser Heilkunst." (441, 2-4) Nach der
Pfeife des Mistral-Windes tanzt schließlich das lyrische Ich im letzten Text der
Neuausgabe von FW; vgl. NK 649, 18.
Anhang: Lieder des Prinzen Vogelfrei
Die „Lieder des Prinzen Vogelfrei", die N. der neuen Ausgabe von FW 1887 als
lyrischen „Anhang" beifügte, gehen zu einem guten Teil auf die bereits Mitte
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