Stellenkommentar FW 383 / FW Anhang, KSA 3, S. 638-639 1597
letzten Satz von Beethovens 9. Sinfonie, mit dem der Hauptteil des Satzes be-
ginnt und das den ,Freudengesang' (aus Schillers Ode An die Freude) mit den
Worten einleitet: „0 Freunde, nicht diese Töne! sondern lasst uns angenehme-
re anstimmen, und Freudenvollere." (Beethoven 1826, lllf.) Im Druckmanu-
skript steht: „Sondern laßt uns andere anstimmen und freudenvollere!" (D 16a,
58) Schon der frühe N. bringt in einer nachgelassenen Aufzeichnung das Beet-
hoven-Zitat und reflektiert auf den dazugehörigen Gesang: „Und was sagt uns
Beethoven selbst, indem er diesen Chorgesang durch ein Recitativ einführen
läßt: ,Ach Freunde, nicht diese Töne, sondern laßt uns angenehmere anstim-
men und freudenvollere!' Angenehmere und freudenvollere! Dazu brauchte
er den überzeugenden Ton der Menschenstimme, dazu brauchte er die Un-
schuldsweise des Volksgesanges." (NL 1871, 12[1], KSA 7, 367, 11-17) Vgl. auch
NK 651, 30.
638, 10 f. Das ist nun einmal „des Sängers Fluch".] Zitiert und umgedeutet wird
hier der Titel der gleichnamigen Ballade (1814) von Ludwig Uhland: Handelt
es sich bei Uhlands Titelformulierung um einen Genitivus subjectivus - der
Sänger ist es, der seinen Fluch gegenüber einem unmenschlichen Herrscher
ausspricht -, so ist das Zitat bei N. hingegen als Genitivus objectivus gemeint:
Der Sänger steht demnach unter dem Fluch des Missverstanden-Werdens (zur
Frage der [Un-]Verständlichkeit vgl. FW 371 u. FW 381). Dahinter steckt ein
komplexer, performativer Wortwitz: Gerade indem das Uhland-Zitat in ,fal-
schem' Sinn wiedergegeben wird, bestätigt es, dass dieser Sinn ,richtig' ist -
der „Fluch" des Missverständnisses trifft damit auch den „Sänger" Uhland.
638, 11 deutlicher] In D 16a, 58 korrigiert aus: „besser".
638, 12 f. um so besser auch nach seiner Pfeife - tanzen) D 16a, 58: „um so
schneller läßt sich 'besser' nach seiner Pfeife - tanzen". Vgl. Wander 1867-
1880, 3, 1259, wo die Bedeutung der sprichwörtlichen Redensart: „Er muss
nach meiner Pfeife tanzen." folgendermaßen umschrieben wird: „Sich ganz
nach meinem Willen richten." Vgl. die Ausführungen zur musikalisch-poeti-
schen Tanz-Therapie der Antike in FW 84: „Wenn die richtige Spannung und
Harmonie der Seele verloren gegangen war, musste man tanzen, in dem Tac-
te des Sängers, - das war das Recept dieser Heilkunst." (441, 2-4) Nach der
Pfeife des Mistral-Windes tanzt schließlich das lyrische Ich im letzten Text der
Neuausgabe von FW; vgl. NK 649, 18.
Anhang: Lieder des Prinzen Vogelfrei
Die „Lieder des Prinzen Vogelfrei", die N. der neuen Ausgabe von FW 1887 als
lyrischen „Anhang" beifügte, gehen zu einem guten Teil auf die bereits Mitte
letzten Satz von Beethovens 9. Sinfonie, mit dem der Hauptteil des Satzes be-
ginnt und das den ,Freudengesang' (aus Schillers Ode An die Freude) mit den
Worten einleitet: „0 Freunde, nicht diese Töne! sondern lasst uns angenehme-
re anstimmen, und Freudenvollere." (Beethoven 1826, lllf.) Im Druckmanu-
skript steht: „Sondern laßt uns andere anstimmen und freudenvollere!" (D 16a,
58) Schon der frühe N. bringt in einer nachgelassenen Aufzeichnung das Beet-
hoven-Zitat und reflektiert auf den dazugehörigen Gesang: „Und was sagt uns
Beethoven selbst, indem er diesen Chorgesang durch ein Recitativ einführen
läßt: ,Ach Freunde, nicht diese Töne, sondern laßt uns angenehmere anstim-
men und freudenvollere!' Angenehmere und freudenvollere! Dazu brauchte
er den überzeugenden Ton der Menschenstimme, dazu brauchte er die Un-
schuldsweise des Volksgesanges." (NL 1871, 12[1], KSA 7, 367, 11-17) Vgl. auch
NK 651, 30.
638, 10 f. Das ist nun einmal „des Sängers Fluch".] Zitiert und umgedeutet wird
hier der Titel der gleichnamigen Ballade (1814) von Ludwig Uhland: Handelt
es sich bei Uhlands Titelformulierung um einen Genitivus subjectivus - der
Sänger ist es, der seinen Fluch gegenüber einem unmenschlichen Herrscher
ausspricht -, so ist das Zitat bei N. hingegen als Genitivus objectivus gemeint:
Der Sänger steht demnach unter dem Fluch des Missverstanden-Werdens (zur
Frage der [Un-]Verständlichkeit vgl. FW 371 u. FW 381). Dahinter steckt ein
komplexer, performativer Wortwitz: Gerade indem das Uhland-Zitat in ,fal-
schem' Sinn wiedergegeben wird, bestätigt es, dass dieser Sinn ,richtig' ist -
der „Fluch" des Missverständnisses trifft damit auch den „Sänger" Uhland.
638, 11 deutlicher] In D 16a, 58 korrigiert aus: „besser".
638, 12 f. um so besser auch nach seiner Pfeife - tanzen) D 16a, 58: „um so
schneller läßt sich 'besser' nach seiner Pfeife - tanzen". Vgl. Wander 1867-
1880, 3, 1259, wo die Bedeutung der sprichwörtlichen Redensart: „Er muss
nach meiner Pfeife tanzen." folgendermaßen umschrieben wird: „Sich ganz
nach meinem Willen richten." Vgl. die Ausführungen zur musikalisch-poeti-
schen Tanz-Therapie der Antike in FW 84: „Wenn die richtige Spannung und
Harmonie der Seele verloren gegangen war, musste man tanzen, in dem Tac-
te des Sängers, - das war das Recept dieser Heilkunst." (441, 2-4) Nach der
Pfeife des Mistral-Windes tanzt schließlich das lyrische Ich im letzten Text der
Neuausgabe von FW; vgl. NK 649, 18.
Anhang: Lieder des Prinzen Vogelfrei
Die „Lieder des Prinzen Vogelfrei", die N. der neuen Ausgabe von FW 1887 als
lyrischen „Anhang" beifügte, gehen zu einem guten Teil auf die bereits Mitte