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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,2): Kommentar zu Nietzsches "Zur Genealogie der Moral" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.70912#0043
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24 Zur Genealogie der Moral

tion wird nahegelegt, einst hätten blonde und arische Eroberer sowohl in Euro-
pa als auch in Indien eine dunkelhaarige Ursprungsbevölkerung unterjocht.
Demgegenüber stellt GM I 6 archaische Gesellschaften ins Zentrum, die
nicht von physisch überlegenen Adligen, sondern von Priestern beherrscht
worden seien. In ihrem Glauben an die Reinheit als dem Guten hätten sie ihre
Lebensanstrengungen auf die innerliche Selbstverbesserung gerichtet, was zu
gefährlicher Degeneration führte. GM I 7 setzt hingegen eine basale Machtriva-
lität zwischen Priestern und Kriegern voraus, wobei die Priester jetzt unverse-
hens als Ohnmächtige gelten, die aus Hass und Rachedurst den Kriegern um
jeden Preis die Herrschaft entreißen wollten. Als historisches Beispiel wird das
antike Judentum herangezogen, in dem sich derlei priesterliches Macht- und
Rachebedürfnis überdeutlich artikuliert und schließlich den mit dem Christen-
tum weltgeschichtlich bestimmend gewordenen „Sklavenaufstand in
der Moral" (268, 2) initiiert habe. Diese Moralumwertung sei, so der achte
Abschnitt, bis heute herrschend geblieben, wobei Jesus von Nazareth als das
ingeniöse Mittel hingestellt wird, mit dem das Judentum die sklavenmoralische
Neuorientierung Europas zuwege gebracht habe. GM I 9 lässt ein imaginäres,
angeblich freigeistiges Gegenüber fragen, warum man sich denn nicht mit dem
Triumph der Sklavenmoral und ihren Demokratisierungsfolgen arrangieren
könne, zumal die Kirche heutzutage nicht mehr zu verführen in der Lage sei -
Fragen, die das „Ich" mit beredtem Schweigen quittieren möchte, offenkundig
gar nicht einverstanden mit der von jenem Freigeist empfohlenen, gelassenen
Entspanntheit.
GM I 10 setzt die sklavenmoralische Haltung ins Verhältnis zum Begriff des
Ressentiments, den N. hier erstmals emphatisch herausstellt, nämlich für das
Empfinden der Unterdrückten, die auf Dauer ihrer Lage nicht entrinnen und
ihre negativen Affekte gegenüber ihren Unterdrückern nicht - etwa in Form
offen geübter Rache - ausagieren könnten. Zum Habitus versteinert, bilde das
Ressentiment den Nährboden der „Sklaven-Moral" (270, 31), die auf Vernei-
nung und Reaktivität gepolt sei, während die Moral der Vornehmen bejahe -
diese selbst und die Welt gleichermaßen. Auch hier sollen vermeintliche ety-
mologische Evidenzen den Befund absichern, was GM I 11 dann mit der Diffe-
renzierung zweier Moraltypen illustriert, die sich vermeintlich ähnlicher, aber
doch kontradiktorischer Vokabulare bedienten: In der vornehmen Moral gelte
die Selbstbejahung als „gut", alles Unvornehme und Reaktive hingegen als
„schlecht", während die „Sklaven-Moral" die „Guten" der vornehmen Moral
für „böse", dafür ihr eigenes, aus vornehmer Sicht nichtswürdiges Sein und
Tun für „gut" erklärten. Immerhin ergeht sich der elfte Abschnitt in der Schil-
derung, wie die friedfertige Bevölkerung Opfer zahlloser gewaltsamer Übergrif-
fe seitens der kriegerischen Starken geworden sei, während heute eine allge-
 
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