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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,2): Kommentar zu Nietzsches "Zur Genealogie der Moral" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.70912#0044
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Überblickskommentar 25

meine Zähmung der Menschen um sich gegriffen habe. Nach einer Wehklage
über den grassierenden Verfall in GM I 12 provoziert GM I 13 mit dem Bild von
den „grossen Raubvögeln", die eben nicht anders können als den „Lämmer[n]"
(278, 31) auf den Pelz zu rücken. Wer stark ist, könne nicht einfach aufhören,
stark zu sein, was mit einer sprachphilosophischen Reflexion auf ein Tun ohne
Täter erhärtet werden soll. Der folgende Abschnitt 14 ist als Dialog angelegt
und berichtet von einem Abstieg in düstere unterirdische Fabrikationshallen
der „Ideale" (281, 8), die dem Menschen sein Dasein verleiden sollen: Es sind
umgeprägte, umgelogene Schwächen, die sklavenmoralisch zu Stärken und
Tugenden verklärt würden. Ganz anders wiederum funktioniert GM I 15, ein
Abschnitt, der Quellenauszüge aus der christlichen Überlieferung versammelt,
welche dokumentieren sollen, wie sehr das Christentum in seinen Jenseitsvor-
stellungen vom Ungeist beseelt werde, an den irdisch Starken und Mächtigen
postume Rache zu nehmen. Der sechzehnte Abschnitt skizziert wiederum ein
großes Schlachtenpanorama: Seit Tausenden von Jahren sei der Krieg zwi-
schen der vornehmen und der sklavischen Moral im Gange. Die sklavenmora-
lische Paarung gut/böse habe sich dabei mehr und mehr durchgesetzt; der Ge-
gensatz ,„Rom gegen Judäa, Judäa gegen Rom'" (286, 6 f.) sei weltgeschichtlich
prägend geworden - Reformation und Französische Revolution stehen dabei
auf Seiten der Ressentiment- und Sklavenmoral, wohingegen die Renaissance
und Napoleon als Versuche erscheinen, die moralische Vornehmheit zu reha-
bilitieren. GM I 17 stellt es schließlich fragend dahin, ob der Kampf um die
Moralen tatsächlich schon entschieden sei, während sich das sprechende „Ich"
jenseits von Gut und Böse zu positionieren gedenkt. Abgeschlossen wird die
Erste Abhandlung schließlich von einer „Anmerkung" (288, 25), die fächer-
übergreifende akademische Preisfragen zu moralhistorischen Themen anregt,
insbesondere dazu, wie sich moralische Begriffe entwickelt hätten. GM I will
für derartige Untersuchungen selbst ein Vorbild abgeben.
Die Zweite Abhandlung nimmt ihren Ausgang von der natürlichen, aktiven
Vergesslichkeit des Menschen, die sich in verbindlichen Sozialbeziehungen
freilich als dysfunktional erweisen kann, bauen diese doch auf dem Vermögen
auf, versprechen zu können - also Schulden zurückzuzahlen. Um den Men-
schen so zu zivilisieren, seien sehr langwierige und gewaltträchtige Maßnah-
men notwendig gewesen, wobei am Ende dieses Zivilisierungsprozesses nach
GM II 2 ein eher rätselhaftes Wesen, nämlich „das souveraine Individu-
um" (293, 21) zu stehen kommt. Dieses souveräne Individuum habe sich von
den Zwängen der Sittlichkeit und Sozialität wieder freigemacht und dürfe ver-
sprechen, so dass es nicht nur über seine Gegenwart, sondern auch über seine
Zukunft zu verfügen und damit Verantwortung für sich und andere zu überneh-
 
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