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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,2): Kommentar zu Nietzsches "Zur Genealogie der Moral" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.70912#0056
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Überblickskommentar 37

simo des Vortrags. Im allgemeinen war mir Deine Correctur der utilitaristischen
Ableitung der Moral sehr einleuchtend, doch wollte mir bei der historischen
Betrachtungsweise des Ganzen die Stärke des Affects dabei nicht eingehen.
Historisch analysirt erscheint mir dann selbst das § 15 behandelte patristische
Gebilde zu complexer Art, zureichend aus dem ,Sklavenaufstand' jedenfalls
nur unter Voraussetzung des vorausgegangenen Waltens der Herrn abzuleiten,
die ja die Wirklichkeit geliefert haben, an der sich die Phantasie des Ressenti-
ments erhitzte." (KGB III 6, Nr. 510, S. 140 f. Z. 27-41)
Obwohl das unmittelbare publizistische Echo auf GM gering war, konnte
doch bald nach N.s Zusammenbruch im Oktober 1891 mit Erscheinungsjahr
1892 eine zweite Auflage des Werks erscheinen, für die es charakteristisch ist,
dass sie die Anführungszeichen in den Titeln der Abhandlungen weglässt
(Nietzsche 1892, [XV] u. 95. Von der dritten Auflage an Nietzsche 1894 sind die
Anführungszeichen wieder restituiert. Die von KSA 14, 380 zitierten Korrektu-
ren N.s aus dem ominösen Handexemplar sind in Nietzsche 1892 ebenso wenig
ausgeführt worden wie in den Folgeauflagen). Nach Köselitz' Brief an Overbeck
vom 23. 10. 1891 war für die zweite Auflage allein der Verleger Constantin Ge-
org Naumann verantwortlich: „Von ,Jenseits von Gut und Böse', von der ,Ge-
nealogie' und dem ,Fall Wagner' hat Naumann neue Auflagen (je 1000 Exemp-
lare) gemacht, ohne einem Menschen etwas davon zu sagen, während er dieses
Recht auf 2. Auflagen gar nicht hat. - [...] Nietzsche ist für Naumann Nichts als
ein Ausbeutungsobjekt." (Overbeck/Köselitz 1998, 346, vgl. zum Geschäftli-
chen Overbecks Antwort am 30. 10. 1891, Overbeck/Köselitz 1998, 348 f. u. Kö-
selitz' Replik, 14. 11. 1891, ebd., 351) Ein solches „Ausbeutungsobjekt" wurde
N. freilich bald auch für Köselitz selbst sowie für N.s Schwester Elisabeth, die
dann die editorischen Geschicke in die Hand nahmen.
Als die N.-Rezeption auf breiter Front einsetzte, spielte GM zunächst nur
eine Nebenrolle. Das dürfte auch mit der sehr pauschalen Behandlung des
Werks in der lange Zeit als kanonisch geltenden Biographie Elisabeth Förster-
Nietzsches zusammenhängen, die in der Bemerkung gipfelt: „So sind Jenseits
von Gut und Böse' und die ihm zur ,Ergänzung und Verdeutlichung beigegebe-
ne Genealogie der Moral' weder Rückblicke noch Vorarbeiten, sondern sie ge-
hören in Wahrheit mitten hinein in die Probleme jenes großen Werks: Der ,Wil-
le zur Macht'." (Förster-Nietzsche 1922, 384) Dieses von N. nur imaginierte, erst
von Förster-Nietzsche in die publizistische Wirklichkeit überführte Werk hat
die philosophische N.-Beschäftigung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts
weitgehend in Beschlag genommen. Karl Jaspers beispielsweise steht in seiner
1936 erstmals erschienenen N.-Monographie noch wie selbstverständlich unter
diesem Eindruck, wenn er einerseits einräumt, JGB und GM seien „Schriften,
die sein Philosophieren - soweit er selbst es der Öffentlichkeit darbot - am
 
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