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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,2): Kommentar zu Nietzsches "Zur Genealogie der Moral" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.70912#0082
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Stellenkommentar GM Vorrede 2, KSA 5, S. 248-249 63

rede 2 legt das Gegenteil nahe, dass es nämlich ein irgendwie anfängliches,
natürlich-genuines Interesse an Erkenntnis gebe. Das steht in starker Span-
nung zu Kernaussagen in JGB, denen zufolge „der Wille zum Wissen auf dem
Grunde eines viel gewaltigeren Willens, des Willens zum Nicht-wissen, zum
Ungewissen, zum Unwahren" beruht (JGB 24, KSA 5, 41, 16-18), während
GM III 27, KSA 5, 409, 10-15 den „Willen[.] zur Wahrheit" auf ein asketi-
sches Ideal zurückführt. In GM Vorrede 2 wird der Erkenntnisgrundwille aller-
dings weder zur universellen Konstante erhoben, noch wird ausgeschlossen,
er habe womöglich einen noch elementareren Grund. Plausibel werden soll
den Lesern offensichtlich vor allem, dass der Eindruck der disparaten Anfänge
täusche und sich im Tun des „Ich" am Ende doch ein einheitlicher Wille mani-
festiere - und dass dieser Wille einen gemeinschaftlichen Willen der als „Wir"
ausgezeichneten „Philosophen" (249, 4) darstelle.
Eine Anregung hat N., wie Brobjer 2001, 419 belegen konnte, in Harald
Höffdings Psychologie in Umrissen auf Grundlage der Erfahrung (dazu allgemein
auch Liebscher 2014, 374-377) gefunden: „Bei uns hat Sibbern besondres
Gewicht darauf gelegt, dass alle Entwickelung von verschiednen Ausgangs-
punkten her sporadisch geschehe und erst allmählich zum Zusammenhang
führe, und er hat dies mit Bezug auf das Seelenleben sehr schön in einer Ab-
handlung in seinem ,Philosophischen Archiv' (Kopenhagen 1830) S. 263 nach-
gewiesen." (Höffding 1887, 106, Fn.) N. hat diese Fußnote mit einem Strich
versehen, der zu einer dreizeiligen Anmerkung von seiner Hand am unteren
Seitenende führt. Leider wurde die dritte Zeile beim Neubinden des Buches fast
vollständig abgeschnitten; die erhaltenen und lesbaren Teile von N.s Aufzeich-
nung lauten: „Sporadisch u. isolirt wachsen auch die einzelnen Vererbungs-
Mächte im Individuum, bis sie endlich sich berühren, hemmen, stören [...]"
(Entzifferung von Beat Röllin; die bei Brobjer 2001, 419 vorgeschlagene Lesart
ist falsch; auch der abgeschnittene Teil kann kaum wie von Brobjer behauptet
die Wendung „Wille zur Macht" enthalten). Im Haupttext, auf den sich die Fuß-
note bezieht, heißt es: „Auf allen Gebieten besteht die Entwickelung in Über-
gang aus einem unzusammenhängenden, unbestimmten und gleichartigen Zu-
stand in Zusammenhang, Bestimmtheit und Ungleichartigkeit" (Höffding 1887,
106).
Karl Jaspers notiert in seinem Exemplar von GM über dem letzten Drittel
von GM Vorrede 2: „das verborgene ,System' in der Einheit des Umgreifenden"
(Nietzsche 1923, 289). Derlei Systemabsicht artikuliert das „Ich" hier freilich
gerade nicht.
249, 2-4 Ob sie euch schmecken, diese unsre Früchte? — Aber was geht das
die Bäume an!] 248, 30 f. ruft die „Nothwendigkeit" auf, „mit der ein Baum
seine Früchte trägt", um sie mit dem naturgemäßen Wachsthum „unsre[r] Ge-
 
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