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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,2): Kommentar zu Nietzsches "Zur Genealogie der Moral" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.70912#0103
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84 Zur Genealogie der Moral

ner" von Za gelten. Angesichts des Umstandes, dass von den jeweils 1000 Ex-
emplare betragenden Erstauflagen von Za I, Za II und Za III 1886 jeweils über
900 Exemplare unverkauft waren und an den Verleger Fritzsch für dessen Titel-
auflage weitergereicht wurden (Schaberg 2002, 286-288), die sich bis 1887
ebenfalls kaum besser verkauft haben dürfte, ist unter N.s Zeitgenossen nie-
mand zu sehen, der auf solche Kennerschaft Anspruch erhoben hätte, ganz
einfach, weil sich niemand ernstlich für das Buch interessierte. GM Vorrede 8
behandelt es nun so, als ob es sich bereits um einen Klassiker handle, an dem
sich viele vergeblich abmühten - was später dann ja auch tatsächlich der Fall
sein sollte.
Die zweite Irritation gründet auf der umfassenden Wirkung, die Za zuge-
schrieben wird: Tief verletzen und zugleich begeistern soll das Werk können -
für dieses Wechselbad der Gefühle wird die Belohnung einer umfassenden Be-
ruhigung in Aussicht gestellt. Nach der griechischen Mythologie stürzte sich
Halkyone, nachdem ihr Gatte König Keyx ertrunken war, selbst in die Fluten,
woraufhin beide von Thetis in Eisvögel, Halkyonen, verwandelt wurden. Wäh-
rend der Brutzeit der Eisvögel im Dezember lässt der Vater Halkyones, der
Windgott Äolos, alle Winde ruhen; „halkyonisch" steht entsprechend für Ruhe
und Heiterkeit. Von 1885 an taucht das Epitheton bei N. häufig in selbstbe-
schreibender Absicht auf, vgl. ausführlich NK KSA 6, 37, 15.
Die dritte Irritation besteht darin, dass inhaltliche Aspekte hinter den emo-
tionalen vollständig verschwinden: Das sprechende „Ich" verliert kein Wort
darüber, was denn die Botschaft oder die philosophische Lehre von Za gewe-
sen ist, sondern beschränkt sich auf die Wirkungs-, auf Effektästhetik. Ein
Buch wie Za soll offensichtlich nicht belehren, sondern in ambivalente Konvul-
sion versetzen.
255, 25-31 In andern Fällen macht die aphoristische Form Schwierigkeit: sie
liegt darin, dass man diese Form heute nicht schwer genug nimmt. Ein
Aphorismus, rechtschaffen geprägt und ausgegossen, ist damit, dass er abgele-
sen ist, noch nicht „entziffert"; vielmehr hat nun erst dessen Auslegung zu
beginnen, zu der es einer Kunst der Auslegung bedarf.] GM Vorrede 2, KSA 5,
248, 8 hat MA I schon ausdrücklich als „Aphorismen-Sammlung" qualifiziert.
In KGW IX 4, W I 6, 35, 12-20 reflektiert die Autorinstanz ebenfalls auf die
gewählte Form und betont ihre Schwierigkeiten: „In Aphorismen-Büchern
gleich den meinigen stehen zwischen und hinter kurzen Aphorismen lauter
verbotene lange Dinge und Gedanken=Ketten; und Manches darunter, das für
Oedipus und seine Sphinx fragwürdig genug sein mag. Abhandlungen schreibe
ich nicht: die sind für Esel und Zeitschriften=Leser. Ebenso wenig Reden." Die
zeitgenössische lexikalische Definition, die insbesondere die Nähe zu allgemei-
nen, damit eingängigen und leichtverständlichen Spruchweisheiten betont,
 
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